Schon in unserem Blog „Wieso Modularisierung ohne passende Governance nicht funktioniert“ haben wir beschrieben, dass die Entwicklung, Verwaltung und Optimierung eines modularen Baukastens nur mit der passenden Governance (Lenkung) langfristig erfolgreich und profitabel ist. Ihn diesem Artikel wollen wir das Thema Änderungsmanagement als Teilaspekt von Governance genauer betrachten.
Die Abbildung zeigt, wie durch Modularisierung die Komplexität und die assoziierten Komplexitätskosten erheblich reduziert werden. Als Maß für den abstrakten Begriff der Komplexität betrachten wir hier stellvertretend die Anzahl der technischen Teilenummern, was Softwareversionen/Features und Service mit einschließt. Wenn im Rahmen der Entwicklung des modularen Baukastens alles richtig gemacht wurde, sind Kundennutzen und Unternehmensstrategie von Anfang an in der modularen Produktarchitektur verankert.
Wenn es nun aber an der passenden Governance zur Verwaltung und Optimierung des Baukastens fehlt, wächst die Komplexität schnell wieder an. Die Reduktion der Komplexitätskosten ist auch in diesem Fall anfangs signifikant, es wird aber u. U. schnell wieder ein neues Modularisierungsprojekt nötig werden, um die Komplexität erneut abzusenken, was die Rentabilität der Investition in den Baukasten schmälert
Ein anderes Bild zeigt sich, wenn eine passende Governance für die modulare Produktarchitektur etabliert wird, so dass ein starker Anstieg der Komplexität proaktiv verhindert wird. Dies ermöglicht eine erhebliche zusätzliche Kostenersparnis durch die Vermeidung von Komplexitätskosten.
Ein Teilbereich dieser Governance, der für die Vermeidung des unkontrollierten Anstiegs von Komplexität besonders wichtig ist, ist das Änderungsmanagement für den modularen Baukasten. Mithilfe des im Änderungsmanagement verankerten Entscheidungsprozess wird jeder Änderungsantrag vor der Umsetzung hinsichtlich Kosten und Nutzen bewertet. Der Entscheidungsprozess orientiert sich hierbei an relevanten KPIs (Kennzahlen), einer Gesamtkostenberechnung und der übergreifenden Produktstrategie und daraus abgeleiteten Produkt-Roadmap.
Im Rahmen dieses Blogartikels werden wir die Bereiche des Änderungsmanagements für modulare Produktarchitekturen genauer betrachten und hervorheben, was bei deren Implementierung zu beachten ist.
Selbst eine Produktarchitektur entwickelt auf Basis von Kundenbedarf und Unternehmensstrategie, unterliegt im Laufe der Zeit Änderungen und Anpassungen, um die langfristige Kundennähe und Profitabilität zu sichern. Dies bedeutet, dass jeder Änderungsantrag auf Basis eines Entscheidungsmodells bewertet werden muss. Dieses Entscheidungsmodell sollte faktenbasiert und am Nutzen für den Kunden und das Gesamtunternehmen ausgerichtet sein. Um dies sicherzustellen, müssen die Prozesse und Gremien des Änderungsmanagements entsprechend angepasst werden, bzw. etabliert werden, falls sie noch nicht vorhanden sind.
Leseempfehlung: In unserem Artikel „So übersetzen Sie Kundennutzen in Produkspezifikationen“ erfahren Sie mehr darüber, wie Sie den Kundenbedarf in Ihrer Produktarchitektur verankern können.
Das Änderungsmanagement beschäftigt sich mit verschiedenen Arten von Änderungsanträgen. So sind in vielen Unternehmen der Großteil der Änderungen interne Änderungsanträge, die Kostenreduktion oder Verbesserungen für die Fertigung zum Ziel haben und keinen Einfluss auf die Architektur des Produktes oder die Funktionalitäten für den Kunden haben. Dementgegen stehen aber auch Änderungen, z.B. ausgelöst durch einen Technologiewandel. Die Implementierung einer neuen Technologie kann erhebliche Auswirkungen auf die Produktarchitektur und die Funktionalität bzw. Leistungsfähigkeit des Produktes bzw. Produktportfolios zur Folge haben.
Um diesen verschiedenen Arten von Änderungsanträgen gerecht zu werden, bedarf es einer transparenten Entscheidungshierarchie mit klaren Eskalationspfaden. Einfache Änderungen ohne großen Einfluss auf die Architektur sollten schnell umgesetzt werden können. Demgegenüber sollten Änderungen, die große Kosten und großen Aufwand verursachen, vor einer Umsetzung anhand einer Kosten-Nutzen-Betrachtung bewertet werden. Jedes Entscheidungsgremium verfügt über entsprechende Kompetenzen, um sowohl Entscheidungen zu treffen als auch definierten Budgetumfang und Verantwortung für die Umsetzung der getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen.
Die notwendigen Gremien bzw. Entscheidungsforen sollten hierbei cross-funktional bzw. abteilungsübergreifend organisiert sein. Entscheidungen werden unter Beteiligung von Produktmanagement, Entwicklung, Fertigung und Einkauf getroffen – auch die Einbindung von Vertrieb und Service empfiehlt sich. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die frühe Einbeziehung der Teams in den Änderungsmanagement-Prozess, die die Änderungen umsetzen.
Dieser Prozess umfasst Aktivitäten zum Sammeln, Bewerten, Konsolidieren, Priorisieren und Entscheiden. Sobald die Entscheidung zur Umsetzung eines Änderungsantrages getroffen ist, wird die Änderung entlang der entsprechenden Prozessabläufen des Unternehmens umgesetzt.
Die Änderungsanträge für modulare Produktarchitekturen lassen sich vereinfacht in vier Kategorien einteilen:
Diese unterschiedlichen Änderungsanträge führen zu individuell unterschiedlichen Kosten und Nutzen und müssen dementsprechend bewertet und priorisiert werden. Wir wollen in diesem Kontext außerdem darauf hinweisen, dass der Wechsel zu einer modularen Architektur inhärent dazu führt, dass Änderungsumfänge kleiner werden und einfacher umzusetzen sind, da sie meistens innerhalb eines Moduls umgesetzt werden können und nicht zwangsläufig das gesamte Produkt betreffen.
Ein Großteil der Änderungsanträge fällt in die Kategorie der internen Änderungen. Auch wenn die einzelnen Anträge meist keinen Einfluss auf die Produktfunktionalitäten oder die Architektur haben und die Umsetzung meist ohne größere Investitionen möglich ist, so sorgt die Anzahl solcher Anträge doch dafür, dass in Summe erhebliche Kosten und Aufwände anfallen. Es bedarf hier daher an einer Kosten-Nutzen-Bewertung auch unter Einbeziehung der Komplexitätskosten sowie einer Konsolidierung von Änderungsanträgen, um die Umsetzung effizient zu gestalten.
Leseempfehlung: Die Berechnung der Komplexitätskosten stellt viele Unternehmen vor große Herausforderung. Lesen Sie hier, wie Sie Komplexitätskosten berechnen und die Profitabilität eines Baukastens quantifizieren können.
Bei Änderungen von Funktionalitäten sowie Änderungen durch die Produkt-Roadmap können größere Investitionskosten anfallen, neue Modulvarianten nötig sein oder sogar die Entwicklung eines neuen Modultyps veranlasst werden. Neben der Kosten-Nutzen-Rechnung, die hier auch zusätzliche Umsätze durch neue Funktionalitäten beinhaltet, muss hier daher auch der Einfluss auf die modulare Produktarchitektur berücksichtigt werden.
Bei der Einführung neuer Technologien und Innovationen, insbesondere wenn diese nicht als Teil der Produkt-Roadmap vorhergesehen wurden, ist ein starker Impact auf die Architektur des modularen Baukastens sehr wahrscheinlich. Die Investitionskosten können hier dementsprechend groß sein. Im Extremfall kann eine wichtige Änderung, die sich nicht in den bestehenden Baukasten integrieren lässt, zu der Entwicklung eines neuen modularen Baukastens führen.
Eine detaillierte Übersicht über die verschiedenen Arten von Änderungsanträgen finden Sie in unserem „Leitfaden zum Änderungsmanagement für modulare Produktarchitekturen“, den Sie hier kostenfrei herunterladen können.
Im spezifischen Unternehmen hängt der Aufbau und die Komplexität der Organisationen zum Änderungsmanagement vom Aufbau und den Bedürfnissen der Unternehmensorganisation ab. Der hier gezeigte 3-stufige Aufbau ist eine beispielhafte Entscheidungshierarchie, die als Vorlage genutzt werden kann.
Die Grafik zeigt in einem vereinfachten Beispiel, wie ein Entscheidungsbaum zur Eskalation eines Änderungsantrages durch die Hierarchien des Änderungsmanagements aussehen kann.
Die Entscheidungshierarchie besteht hierbei aus dem Module System Core Team (MCT), auch Baukasten-Team genannt, welches den Großteil der Änderungsanträge entscheiden kann. Bedarf es neuer Varianten von Modulen oder wird ein bestimmtes Budget überschritten, wird die Entscheidung an das Module System Executive Team (MET) eskaliert. Das höchste Gremium, das Product Portfolio Board (PPB), entscheidet über Änderungsanträge, die Einfluss auf die Architektur des modularen Baukastens haben oder deren Umsetzung erhebliche Investitionen erfordert.
Eine detaillierte Übersicht der Gremien finden Sie in unserem „Leitfaden zum Änderungsmanagement für modularen Produktarchitekturen“.
Ein langfristig erfolgreicher modularer Baukasten basiert auf einer klaren modularen Strategie sowie quantifizierter Potentiale, die mit dieser gehoben werden sollen. Getragen wird die Modularisierung von den Säulen der Governance für den modularen Baukasten. Ein Änderungsmanagement für Modularisierung ist Teil dieser Governance-Säulen.
Wie anfangs beschrieben führt fehlende Kontrolle der Änderungen an der modularen Produktarchitektur dazu, dass die anfangs reduzierte Komplexität wieder zunimmt, so dass erneute Modularisierungsinitiativen nötig werden, was zu einer Reduzierung der Rentabilität der Investition in den modularen Baukasten führt.
Dieser Effekt lässt sich aber verhindern, indem ein für die modulare Produktarchitektur passendes Änderungsmanagement etabliert wird. In diesem Artikel haben wir einen Überblick der Elemente eines solchen Änderungsmanagement gegeben. Um Sie bei der Etablierung Ihres Änderungsmanagement zu unterstützen, bieten wir Ihnen hier unseren „Leitfaden zum Änderungsmanagement für modulare Produktarchitekturen“ zum kostenfreien Download an. Dieser enthält einen detaillierten Überblick von Gremien, Arten von Änderungsanträgen sowie eine beispielhafte prozessuale Umsetzung:
Senior Consultant
ingo.bogemann@modularmanagement.com
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