CO2-Fußabdruck reduzieren durch modulare Produktstrukturen

Von Rikard Bodén

Klimaforscher und Politik sind sich einig: nur eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 kann die Auswirkungen des Klimawandels stoppen. Viele Unternehmen investieren bereits in eine nachhaltigere Produktion. Das größte Optimierungspotenzial versteckt sich jedoch in der Nutzung und Entsorgung. Eine klare Recyclingstrategie auf Basis einer modularen Produktarchitektur kann hier ein wichtiger Erfolgsfaktor sein. 

Prognosen von Klimaforschern und strenge gesetzliche Vorgaben zur CO2-Bilanzierung rücken Unternehmen heute in das Spannungsfeld zwischen finanziellem Wachstum und nachhaltigem Umgang mit Ressourcen. Dabei entstehen die meisten Emissionen oft gar nicht während der Produktion selbst sondern weiter hinten in der Wertschöpfungskette. Insbesondere bei langlebigen Konsumgütern oder energieverbrauchenden Geräten, macht sich vor allem deren Nutzung und Entsorgung in der CO2-Bilanz bemerkbar. 

Eine Verlagerung der Verantwortung verkaufter Produkte zu den herstellenden Unternehmen und eine Recyclingstrategie basierend auf modularen Produktstrukturen können helfen, die Emissionen in der späten Phase des Produktlebenszyklus zu senken.  

Dieser Artikel zeigt welchen Herausforderungen Unternehmen auf dem Weg in die nachhaltige Kreislaufwirtschaft, als Ergänzung zur reinen Gewinnmaximierung, begegnen, und worauf sie bei der Implementierung modularer Produktarchitekturen achten müssen. 

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Circular Economy und die Anforderungen an die CO2-Bilanz von Industrieprodukten

Um angestrebte Klimaziele (1) zu erreichen sind Unternehmen angehalten bisherige Geschäftsmodelle zu überdenken. Reine Gewinnmaximierung soll ergänzt werden durch die so genannte Kreislaufwirtschaft, oder auch “Circular Economy” genannt.

Dabei handelt es sich um ein Wirtschaftssystem, das darauf abzielt, Abfälle und die kontinuierliche Nutzung von Ressourcen zu vermeiden, Produkte und Materialien in Gebrauch zu halten, zu recyclen und Ressourcengewinnung und Produktionsprozesse so zu verändern, dass Umwelt- und Natursysteme weniger beeinträchtigt werden. Es steht im Gegensatz zur traditionellen Ressourcen intensiven linearen Wirtschaft

Als Anhaltspunkt für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft dienen unter anderem die so genannten Science-Based Targets (SBT). Das sind wissenschaftlich fundierte Ziele, die von der Science-Based Targets inititavtive (SBTI) ermittelt werden und Unternehmen und Finanzinstituten zeigen, wie viel und wie schnell sie ihre Treibhausgasemissionen reduzieren müssen um den aktuellen Anforderungen an Nachhaltigkeit gerecht zu werden.

Weil sie zwischen den Interessengruppen und den politischen Entscheidungsträgern hin- und hergerissen sind, ist das Erreichen dieser Ziele für viele Unternehmen allerdings oft ein frustrierendes Vorhaben. Auf der einen Seite stehen die aktuellen Geschäftsmodelle und Wachstumserwartungen und auf der anderen die immer strenger werdenden Emissionsvorschriften. Außerdem sind alle Unternehmen, die sich den SBT verpflichten, auch verpflichtet eine Kohlenstoffbilanzierung vorzunehmen, die oft als Berichterstattung über die Emissionen der Bereiche 1, 2 und 3 bezeichnet wird.

Zu Bereich 1 zählt die direkte Freisetzung klimaschädlicher Gase im eigenen Unternehmen. Bereich 2 umfasst die indirekte Freisetzung klimaschädlicher Gase durch Energielieferanten. In Bereich 3 werden Emissionen mit indirekter Freisetzung klimaschädlicher Gase in der vor- und nachgelagerten Lieferkette eingeordnet.

Größter Optimierungshebel versteckt sich am Ende des Produktlebenszyklus

Wirft man einen Blick in die  Nachhaltigkeitsberichte börsennotierter Unternehmen, fällt auf, dass der Großteil der Emissionen, nicht, wie angenommen im Produktionsprozess entsteht, sondern, in Bereich 3, also der Nutzung und Entsorgung der verkauften Produkte. Das bestätigt eine Analyse des Prüf- und Beratungsunternehmens EY. Berücksichtigt man auch die vor- und nachgelagerten Emissionen, haben die DAX-Unternehmen in 2023 3,5 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Das sind 9 % des weltweiten Treibhausgasausstoßes desselben Jahres.

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Abbildung 1a) Beschreibung der Scope 1, 2, 3 Emissionen. 1b) Typisches Emissionsprofil eines globalen Herstellers.

Obwohl diese Zahlen bekannt sind, setzen viele Unternehmen um den CO2-Fußabdruck zu senken nach wie vor auf die Reduktionen von Emissionen aus den Bereichen 1 und 2. Dazu zählen zum Beispiel die Entwicklung neuer Produkte, die Umsetzung einer höheren Produkteffizienz oder die Dekarbonisierung der Netze. 


Grund dafür sind die klassischen, gewinnorientierten Geschäftsmodelle, die den Herstellern kaum Einfluss auf die Endphase des Produktlebenszyklus erlauben. Automobilproduzenten zum Beispiel haben weder Mitspracherecht beim Benzinpreis, noch Kontrolle über die Lebensdauer des Autos. Ersteres hängt stark von politischen Entscheidungen ab, zweiteres wird durch die Fahrzeughalter beeinflusst. Werden regelmäßig Inspektionen vorgenommen? Welchen klimatischen Bedingungen ist das Fahrzeug während der Nutzung ausgesetzt? Wie viele Kilometer wird das Auto pro Jahr bewegt? Wann und wo wird das Auto verschrottet? 

Notwendigkeit zur Erweiterung der Produktverantwortung der Hersteller auf Nutzung und Entsorgung

Wirtschaftsführer in aller Welt haben begonnen, das entstehende Problem zu erkennen. Aus diesem Grund ist das Interesse an einer Verlagerung der Produktverantwortung vom Verbraucher auf die Herstellerfirmen rapide angestiegen. Kreislauforientierte Geschäftsmodelle wie Product-as-a-Service (PaaS) rücken immer mehr in den Fokus. 
Durch die Rückverlagerung des Eigentums am Produkt auf den Hersteller kann das Dilemma zwischen Umwelt- und Finanzleistung aus einem neuen Blickwinkel angegangen werden. Wenn ein Unternehmen die Kontrolle über seine Anlagen behält, ist es theoretisch möglich, jeden Teil des Produkts zurückzunehmen und in einen neuen Produktlebenszyklus zu überführen.  

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Abbildung 2: Hersteller, die die Kontrolle über ihre Anlagen behalten, können ihre Produkte im Laufe der Zeit verbessern

Durch das Recycling könnten Unternehmen Ausgaben für die Produktion neuer Teile einsparen. Deren Höhe wird stark davon beeinflusst, wie schnell die alten Bauteile demontiert und wiederaufbereitet werden können. Eine modulare Produktarchitektur kann diesen Prozess beschleunigen und gleichzeitig die Rentabilität verbessern.

Maximale Wiederverwendung durch modulares Produktdesign

In der Praxis hat sich gezeigt, dass viele Unternehmen bereits mit dem Recyclen von Produktbestandteilen beginnen und in neue Geschäftsmodelle im Sinne der Kreislaufwirtschaft vordringen. Statt den zuvor generierten Wert des Produktes durch Entsorgung zu zerstören, geht es nun darum, den Wert des Produkts so lange als möglich zu halten.

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Abbildung 3: Der Wertehügel über verschiedene Nutzungsphasen in einer linearen und einer Kreislaufwirtschaft

Oft werden diese jedoch durch die nach wie vor linear gestaltete Produktarchitektur ausgebremst. Der Schlüssel ist hier die Modularisierung. Sie hilft dabei Funktionen und Bauteile je nach Art des weiteren Verwendungszwecks in unterschiedlichen Modulgruppen zusammenzufassen, und die Produktarchitektur mit durchdachten Schnittstellen auszustatten.

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Abbildung 4: Nicht alle Teile eines Produkts haben den gleichen Zweck

Bestimmte Module weisen beispielsweise eine Standardfunktionalität für verschiedene Produktplattformen auf, was eine nahtlose Wiederverwendbarkeit in alternativen Produkten ermöglicht und zu einer nachhaltigeren Produktion und geringeren Komplexitätskosten beiträgt. Umgekehrt können einige Module gefährliche oder hochwertige Materialien enthalten, die besondere Recycling- oder Rückgewinnungsverfahren erfordern. Besonders erwähnenswert sind die Verschleißmodule, die leicht austauschbar und reparierbar sein müssen.

Dieses komplizierte Geflecht von Überlegungen erstreckt sich über jedes "R" des so genannten 9R-Rahmens, einem zirkulären Wirtschaftskonzept, das untersucht, wie Materialien möglichst wertschaffend verwendet und wiederverwendet werden können, während gleichzeitig Abfall und Umweltzerstörung minimiert werden.

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Abbildung 5: Modularität im Kontext des 9R-Rahmens

Aber wie können diese Überlegungen nun gemeinsam mit anderen Marktanforderungen in die Produktarchitektur integriert werden? Eine bewährte Methode ist die Modular-Function-Deployment-Methode (MFD-Methode). Sie erfasst effizient die externen Marktanforderungen, bietet aber auch die für eine optimale Komplexität notwendigen Orientierungshilfen bei der Umsetzung der Marktanforderungen in Produkteigenschaften mit unterschiedlichen Leistungsstufen.

Dabei können in der Regel verschiedene technische Konzepte und Lösungen die vorgegebenen Leistungsstufen erfüllen. Um eine suboptimale Konzeptauswahl zu vermeiden, wird ein strukturiertes Konzeptbewertungsinstrument empfohlen. Entscheidungen über die Art des Materials, die Montagemethode und die erwartete Lebensdauer, die in den frühen Entwurfsphasen getroffen werden, haben einen erheblichen Einfluss auf die Qualität, die Kosten, die Ästhetik, die Nachhaltigkeit und die Kreislauffähigkeit des Produkts während seines Lebenszyklus. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, bei den Bewertungen auch interne Kriterien zu berücksichtigen.

Die ausgewählten Konzepte werden dann in der Regel im Hinblick auf das Abweichungsverhalten und die strategische Absicht bewertet, was schließlich als Grundlage für die Auswahl der Lösungsgruppen dient, die in den Modulen zusammengefasst werden können. An dieser Stelle erfahren wir in der Regel, wie die Produktarchitektur in Teile, das heißt in Module, zerlegt werden sollte, aber auch, wie die Module über Modulschnittstellen miteinander verbunden sind.

Es wird dadurch ebenfalls ersichtlich, dass dann alle klimarelevanten Daten in einfacher Weise auf Modulebene gehandhabt werden können und durch Konfiguration zu Produkten aggregiert nachvollziehbar, dokumentier- und steuerbar werden. Hier sei beispielhaft die Software PALMA genannt.

IKEA, Volvo und Caterpillar: Beispiele aus der Praxis

Ein anschauliches Beispiel eines modularen Ansatzes für das Konzept der Kreislaufwirtschaft gibt uns der Möbelhersteller IKEA. In einem Video zeigt das schwedische Unternehmen, wie auf der Basis eines produktübergreifenden Baukastens Teile von ausrangierten Bücherregalen als Stuhl oder Nachttisch, wiederverwendet werden können: https://www.youtube.com/watch?v=EvfNA0FtesY.

Auch für komplexere Produkte ist das Modularisierungsprinzip anwendbar. Ebenfalls in einem Video zeigt der Automobilhersteller Volvo, das modulare Baukastensystem seiner Schwerlastmotoren: https://www.youtube.com/watch?v=JV55HRUyxDk

Auch der Maschinenbauer Caterpillar weiß, dass recycelte Motoren nur einen Bruchteil der Ressourcen benötigen, die für die Gewinnung, Verarbeitung und Herstellung desselben Motors von Grund auf erforderlich sind: https://www.youtube.com/watch?v=2XZIQOFLjXU

Modularisierung als Schlüssel zur erfolgreichen Kreislaufwirtschaft: Nachhaltigkeitspotenziale durch zirkuläre Geschäftsmodelle

Die Nachhaltigkeitsberichte der DAX-Unternehmen haben gezeigt, dass verstärkter Handlungsbedarf in Sachen CO2-Reduktion besteht. Gleichzeitig zeigen jedoch auch zahlreiche Beispiele aus der Praxis, dass zirkuläre Geschäftsmodelle immer häufiger Einzug in die Wirtschaft erhalten.

Ein wichtiges Instrument für die Umsetzung ist die Modularisierung. Denn der Erfolg in der Kreislaufwirtschaft oder Circular Economy wird unter anderem daran gemessen, wie leicht sich ein Produkt zerlegen und wieder zusammensetzen lässt. Durch die Einführung modularer Produktarchitekturen gemäß der MFD-Methode, können Nachhaltigkeits- und Marktanforderungen in die Produkte implementiert und nachvollziehbar werden. Durch die Definition von Modulgruppen, kann bereits in der frühen Phase der Produktentwicklung bestimmt werden, welche Produktbestandteile auf welche Art und Weise wiederverwendet werden können.

Dadurch kann ein langfristiger finanzieller und ökologischer Wert geschaffen werden, der sowohl auf das Firmenergebnis als auch auf die ambitionierten Klimaziele einzahlt.

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Rikard Boden

Rikard Bodén

Senior Consultant


rikard.boden@modularmanagement.com
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