In der heutigen Zeit ist es für Kunden selbstverständlich, dass ihnen ein flexibel an ihre Wünsche und Anforderungen angepasstes Produkt möglichst schnell geliefert wird. Um das zu ermöglichen, müssen Unternehmen anpassungsfähige Produkte entwickeln, diese effizient über den Produktlebenszyklus steuern & verwalten und ihre internen Prozesse dahingehend optimieren, dass eine Kundenbestellung möglichst schnell und mit so wenig Aufwand wie möglich bearbeitet werden kann. In diesem Kontext setzen immer mehr Unternehmen auf End-to-End Produktkonfiguration. Bei einer erfolgreich implementierten End-to-End Produktkonfiguration ist eine einzige Interaktion mit dem Kunden ausreichend, um den von ihm erteilten Auftrag im Produktkonfigurator so umzusetzen, dass die Bestellung danach von allen nachfolgenden Abteilungen ohne weitere Modifikationen bearbeitet werden kann.
Gerade in Unternehmen mit hoch komplexen Produktportfolios kann End-to-End Konfiguration die internen Prozesse vom Eingang der Kundenbestellung bis hin zur Lieferung der fertigen, kundenindividuellen Lösung erheblich vereinfachen und so Kosten und Vorlaufzeiten senken. Dabei zeigt sich jedoch folgendes Problem: Je komplexer das Produkt, desto mehr Varianten und konstruktive Anpassungen sind potenziell notwendig. Je nach Art der Anpassung muss diese dann doch manuell vorgenommen werden und die angestrebte End-to-End Konfiguration ist nicht mehr möglich. Es braucht also ein Tool, das die notwendigen Modifikationen automatisiert vornehmen kann, ohne dass jede potenziell vom Kunden geforderte Produktausprägung schon vorab fertig auskonstruiert werden muss.
Ein solches Tool ist Design Automation. Als Teil der End-to-End Produktkonfiguration eingesetzt, ermöglicht Design Automation eine kundenindividuelle Konfiguration technisch komplexer Produkte, ohne vorher alle theoretisch möglichen Varianten fertig ausdetaillieren zu müssen. An die Bedürfnisse des Kunden angepasste Varianten bestimmter Komponenten und/oder ganzer Baugruppen werden dabei automatisiert mit einer CAD-Software generiert. Das bedeutet weniger Arbeit für die Konstruktionsabteilung und spart Zeit bei der Bearbeitung von Kundenanfragen.
In diesem Blog-Artikel erklären wir Ihnen die theoretischen Grundlagen von Design Automation und zeigen Ihnen am Beispiel eines Baggers, wie diese Automatisierung in der Praxis funktioniert.
Leseempfehlung: Design Automation ist ein wichtiger Enabler für End-to-End Produktkonfiguration. In unserem Blogartikel erfahren Sie, was noch dazu gehört bei End-to-End Produktkonfiguration.
Bevor wir uns mit der praktischen Anwendung von Design Automation beschäftigen, müssen zuerst einige theoretische Konzepte erläutert werden, die zur Automatisierung von Produktanpassungen auf Konstruktions (Design) Ebene notwendig sind.
Der Begriff Design Automation beschreibt das automatisierte Anpassen bestimmter Produktparameter beim Erstellen der technischen Produktdokumentation. Durch den Einsatz einer Software wird einmalig ein virtuelles Modell des Produkts entworfen, welches danach für Folgeaufträge automatisch angepasst werden kann, indem zuvor definierte Parameter variiert werden. Es ist folglich nicht notwendig, für jede Anpassung einen neuen manuellen Entwurf zu erstellen. Ein Produktportfolio an Baggern, die jeweils mit unterschiedlichen Schaufelgrößen und Baggerarmlängen erhältlich sein sollen, kann so mit einem übergreifenden, parametrisierten CAD-Modell abgebildet werden.
Design Automation kann dabei auf mehreren Ebenen angewendet werden. Neben einer automatisiert gesteuerten Anpassung des Designs (Konstruktion) bestimmter Komponenten - hierbei werden die Dimensionen eines einzelnen Bauteils automatisiert angepasst - kann Design Automation auch für ganze Baugruppen verwendet werden - hierbei müssen außerdem die Konfigurationsregeln bedacht werden, um die technische Machbarkeit des Designs zu gewährleisten. Eine Kombination der beiden Ebenen ist ebenfalls möglich.
Wie bereits gesagt, basiert Design Automation auf dem automatisierten Variieren von im Vorfeld definierten Parametern. Diese wiederum hängen eng mit den Produkteigenschaften und den Kundenanforderungen an das Produkt zusammen. Wir können uns diesen Zusammenhang wie folgt vorstellen: Der Kunde hat spezielle Anforderungen an das Produkt. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen die Produkteigenschaften entsprechend angepasst werden. Bei einem modularen Baukasten geschieht das über die Wahl einer entsprechenden Modulvariante. Insbesondere bei Produkten, bei denen Kundenanforderungen zu einer hohen Anzahl von geometrischen Varianten führen, ist es aber nicht möglich, jede mögliche Modul- und Produktvariante bereits vorab zu konstruieren und die zugehörige technische Produktdokumentation zu erstellen. Um Design Automation anzuwenden, muss für die von der Anpassung betroffene Produkteigenschaft ein passender Design Parameter festgelegt werden, über welches das CAD-Modell angepasst werden kann.
Für einen Bagger könnte eine mögliche Kundenanforderung beispielsweise die Kapazität der Maschine sein, also wie viele Tonnen pro Stunde ausgehoben werden können. Nennen wir diese Kundenanforderungen also Tonnenleistung. Die Tonnenleistung des Baggers hängt unter anderem von der Größe der Baggerschaufel ab. Das Schaufelvolumen ist folglich die Produkteigenschaft, die variiert werden muss, um eine entsprechend große Tonnenleistung zu erreichen. Ein passender Design Parameter, um das Schaufelvolumen automatisiert im Designmodell anzupassen, ist beispielsweise die Schaufelbreite. Die nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über das Zusammenspiel von Kundenanforderung, Produkteigenschaft und Design Parameter. Ausgehend vom Wunsch des Kunden wird das Design des Produkts automatisiert angepasst.
Die Produkteigenschaft Schaufelvolumen dient als Übergangselement zwischen der Kundenanforderung (Tonnenleistung) und dem Design Parameter (Schaufelbreite), welches zum Erfüllen der individuellen Kundenanforderungen notwendig ist. Der Vorteil der Produkteigenschaft als Zwischenebene liegt darin, dass sich darüber noch weitere Design Parameter festlegen lassen. So kann ein größeres Schaufelvolumen und damit eine höhere Tonnenleistung auch über die Länge und Tiefe der Schaufel umgesetzt werden (s. Grafik).
Darüber hinaus ist eine solche Auffächerung der Produktdaten sinnvoll für eine effiziente Verwaltung der Produktdaten und eine verbesserte Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen im Unternehmen. Für die Produktarchitektur (und die Konfiguration des Produkts) sind in erster Linie die Kundenanforderungen relevant, die die Produktarchitektur bestimmen. Im Design Prozess wird die allgemeine Produktstruktur hingegen in ein konkretes Designmodell überführt und festgelegt, wie die technische Umsetzung aussehen kann.
Zur Veranschaulichung werden wir uns nun am Beispiel unseres Baggers ansehen, wie Design Automation in der Praxis angewendet wird. Dabei werden wir die beiden bereits zu Beginn genannten Ebenen (Komponentenebene und Baugruppenebene) sowie eine Kombination beider Ebenen betrachten. Den Bagger stellen wir uns schematisch als Zusammensetzung aus den vier Modulen Schaufel, Baggerarm, Fahrerkabine und Fahrwerk vor.
Wie bereits oben erklärt, wird die Auswahl der jeweiligen Modulvariante der Baggerschaufel von der vom Kunden gestellten Leistungsanforderung an den Bagger, sprich der stündlichen Tonnenleistung, bestimmt. Dementsprechend können wir hier verschiedene Zielsetzungen für das Schaufelvolumen festlegen. Design Automation erlaubt die automatisierte Erstellung einer Vielzahl verschiedener geometrischer Varianten, um verschiedene Schaufelvolumen zu ermöglichen. Für unser Beispiel betrachten wir zwei Varianten mit 200 l- und 500 l-Volumen. Diese können durch das Variieren der geometrischen Parameter Breite, Tiefe und Höhe umgesetzt werden.
Produktdesign entscheidet, wie diese beiden unterschiedlichen Schaufelgrößen in der konkreten Ausführung umgesetzt werden. In unserem Fall wird die Schaufel mit großem Volumen erzeugt, indem die Breite angepasst wird. In der Folge bedeutet das, dass alle übrigen Designelemente der Schaufel wie die Aufhängung oder die Seitenwände für alle Modulvarianten unverändert bleiben. Der Designer kann also das CAD-Modell der Schaufel allein über den Design Parameter Schaufelbreite steuern und so ein Modell für beliebig viele Varianten erstellen. Bei veränderten Produktanforderungen genügt es, einen einzelnen Parameter anzupassen, um ein neues CAD-Modell zu erstellen, das den neuen Anforderungen entspricht.
Bisher haben wir uns für die Umsetzung der Kundenanforderung “Tonnenleistung” primär auf das Volumen der Baggerschaufel und den damit in Verbindung stehenden Parameter “Schaufelbreite” konzentriert, welcher im CAD-Modell beeinflusst wird. Wie viele Tonnen ein Bagger in einer Stunde ausheben kann, hängt jedoch nicht nur vom Modul Baggerschaufel ab. Stattdessen spielen auch die jeweilige Hydraulik sowie die Reichweite des Baggers eine ausschlaggebende Rolle. Denn je größer der Aktionsradius des Baggers, desto mehr Erdmasse kann ausgebaggert werden, bevor der Bagger neu positioniert werden muss. Das lässt mehr Zeit für das Ausbaggern an sich und die stündliche Tonnenleistung erhöht sich.
Der Arm des Baggers ist als Modul daher ebenfalls von der Kundenanforderung Tonnenleistung bestimmt. Sagen wir, dass für die Abdeckung der Anforderungen zwei Varianten notwendig sind, eine mit einer Länge von 4 m und eine mit einer Länge von 6 m. Die Baggerarmlänge ist damit ein zweiter Design Parameter, der im CAD Modell entsprechend gesteuert werden kann. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die an die beiden Module geknüpften Zielvorgaben und Design Parameter sowie die konkreten Modulvarianten.
Die verschiedenen konstruktiven Varianten von Schaufel und Arm müssen nun aber noch zu einem Gesamtprodukt zusammengeführt werden. Auch dies ist mit dem entsprechenden CAD-Modell möglich. Hierbei werden in der Produktstruktur des CAD-Modells Regeln hinterlegt, die mit den Produkteigenschaften und Kundenanforderungen verknüpft sind. So werden bei einer maximalen Tonnenleistung die große Schaufel und der lange Baggerarm in das CAD-Modell geladen. Auf diese Weise können automatisiert verschiedene Produktkonfigurationen erstellt werden. (siehe Grafik).
Leseempfehlung: Für mehr Informationen rund um das Thema Konfiguration von Produkten empfehlen wir Ihnen unseren Blog-Artikel “Alles, was Sie über Produktkonfiguration wissen müssen”.
Ein wesentlicher Vorteil von Design Automation besteht darin, dass dieselbe(n) Kundenanforderung(en) genutzt werden können, um das Design des Produkts sowohl auf Komponentenebene als auch auf Baugruppenebene zu steuern. Wie aus der Tabelle hervorgeht, sind sowohl die Produkteigenschaft Armlänge als auch das Schaufelvolumen mit der zentralen Kundenanforderung Tonnenleistung verknüpft. Je nachdem welches Schaufelvolumen und welche Armlänge gewählt werden, erhöht oder reduziert sich die stündliche Tonnenleistung des Baggers. Die vierte Kombinationsmöglichkeit (große Schaufel und kurzer Baggerarm) ist technisch nicht umsetzbar.
Die durchgängige Verknüpfung von Kundenanforderungen bis hin zu den Design Parametern stellt weiterhin sicher, dass jede konstruktive Variante von einer umzusetzenden Kundenanforderung getrieben ist. Indem wir die Konfiguration des Produkts so gestalten, dass die Zielsetzungen für die Tonnenleistung über Kombinationen bestimmter Produkteigenschaften erfüllt wird, können wir sowohl das Design für einzelne Komponenten wie die Schaufel oder den Baggerarm als auch für das Produkt als Ganzes automatisieren. Die Definition zusätzlicher Design Parameter als Unterkategorie der einzelnen Produkteigenschaften ermöglicht es, ausgehend von einer zentralen Kundenanforderung das Design des gesamten Produkts automatisiert zu erstellen.
Design Automation ist ein optionaler Baustein, der End-to-End Produktkonfiguration auch für stark variante Produkte ohne zusätzlichen Konstruktionsaufwand möglich macht. Mit Design Automation können in Abhängigkeit von den Kundenanforderungen definierte Parameter frei variiert werden, ohne für jede Variante manuell ein neues Modell erstellen und alle technisch möglichen Produktausführungen vorbereiten zu müssen. So kann beim Design eines Baggers das Schaufelvolumen über den Parameter Schaufelbreite flexibel gesteuert werden, um der vom Kunden gewünschten Tonnenleistung zu entsprechen. Neben dem Design der Einzelteile kann auch das Design ganzer Baugruppen, beziehungsweise des gesamten Produkts automatisiert gesteuert werden. Die technische Machbarkeit der Anpassung wird über Konfigurationsregeln sichergestellt.
Insbesondere bei komplexen Produkten mit großer, oft geometrischer, Varianz in einzelnen Bauteilen ist es nicht möglich, alle möglichen Bauteil- und Produktvarianten vorab fertig im Detail zu konstruieren. Design Automation ist somit der Schlüssel, um End-to-End Konfiguration auch für solche Produkte effizient zu ermöglichen.
In unserem Guide „Succeed with Design Automation” gehen wir detaillierter auf die wichtigsten Benefits von Design Automation ein und zeigen, was bei der Implementierung beachtet werden muss.