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2022 Forschung zur szenario-adaptiven Plattformentwicklung und Transformation

Von Colin de Kwant

Transformative Trends wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung zwingen Unternehmen zum Umdenken. Gleichzeitig gilt es, zukünftige Entwicklungen am Markt abzuschätzen und das Produktangebot entsprechend auszurichten. Vor allem in Branchen wie der Nutzfahrzeugindustrie ist der Transformationsdruck hoch. Der Trend geht in Richtung Elektrifizierung, aber angesichts der herrschenden Unsicherheit stehen Entwicklungsabteilungen vor enormen Herausforderungen. Eine Möglichkeit, diesen Unsicherheiten zu begegnen und eine bessere Planbarkeit zu erreichen, ist die Arbeit mit Zukunftsszenarien. 

Modular Management hat bereits in der Vergangenheit in Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern verschiedene Forschungsarbeiten zum Einsatz von Szenariotechnik sowie Zukunftsforschung im Innovations- und Entwicklungsprozess von Mobilitätslösungen im Güterverkehr durchgeführt. Das Forschungsprojekt “Super Brain” schließt an diese Arbeiten an. Ziel des Projekts ist es, verschiedene Szenarien für die zukünftigen Entwicklungen im städtischen Verkehr sowie im Überlandverkehr genauer zu analysieren und weiterzuentwickeln und vor diesem Hintergrund alternative, innovative und nachhaltige Mobilitätslösungen zu bewerten. Dabei soll ein anwendbares Modell ausgearbeitet werden, das den Innovationsprozess, einschließlich Plattformentwicklung, Produktplanung, Modularisierung, Kreislaufwirtschaft und Design-Thinking, unterstützt. 

Durchgeführt wird das Projekt von Modular Management in Zusammenarbeit mit dem Center for ECO2 Vehicle Design an der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm. Das ECO2-Zentrum bringt Vertreter aus Fahrzeugindustrie und Forschung zusammen, um gemeinsam an technologischen Herausforderungen im Schienen- und Straßenverkehr zu arbeiten und zu forschen. Neben dem Fachwissen aller beteiligter Partner in den Bereichen Fahrzeugdesign und Mobilität ist es vor allem das jahrzehntelange Know-how im Bereich der Modularität, welches Modular Management nutzt, um die Transformation hin zu einer elektrifizierten, nachhaltigen Mobilitätslösung der Zukunft anzustoßen. 

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Herausforderungen und Transformation im Straßengüterverkehr und der Nutzfahrzeugindustrie

Zukünftige Marktentwicklungen im Voraus abzuschätzen ist eine große Herausforderung für Unternehmen. Die Entwicklungen der Zukunft gut einzuschätzen ist jedoch wichtig, um die eigene Organisation und Produkte rechtzeitig auf künftige Veränderungen vorzubereiten und nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Gelingt dies nicht, drohen erhebliche Verluste für Unternehmen, Gesellschaft und Umwelt. Das gilt insbesondere für Branchen, die erheblichen disruptiven Veränderungen und unvorhersehbaren Megatrends ausgesetzt sind und unter einem entsprechend hohen Transformationsdruck stehen. Ein Beispiel hierfür sind der Straßengüterverkehr und die Nutzfahrzeugindustrie.  

Der Straßenverkehr ist eine der Hauptquellen für CO2-Emissionen, und der politische Druck auf die Lkw-Hersteller hat sich mit den ersten EU-weiten Regelungsrahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen spürbar erhöht. Angesichts der Reaktionen der Hersteller, die sich gemeinsam zur Verringerung der Emissionen im Straßengüterverkehr verpflichten (z. B. sciencebasedtargets.org), lässt sich ablesen, dass der Trend im Güterverkehr langfristig in Richtung Elektrifizierung geht. 

Der Wandel hin zur Elektromobilität ist unbestreitbar und die Einführung von elektrischen oder anderen nicht-fossilen Antriebsalternativen schreitet schnell voran. Dabei geht es bei der Transformation des Straßengüterverkehrs nicht nur um Nachhaltigkeit und Elektrifizierung, sondern auch um die Berücksichtigung von Megatrends wie Digitalisierung, Kreislaufwirtschaft und Automatisierung.  

Die Vielzahl an Trends und Herausforderungen und die Ungewissheit über zukünftige Entwicklungen stellt die Hersteller und Forscher vor große Herausforderungen. Forschungsarbeiten in diesem Bereich greifen daher häufig auf die Ansätze der Zukunftsforschung und der Szenario basierten Planung zurück. Zu den Ansätzen, die sich am besten für den Umgang mit ungewissen Entwicklungen eignen, gehören sowohl explorative, vorwärts gerichtete als auch normative, rückwärtsgerichtete Szenarien. 

Bisherige Forschung zum Einsatz von Zukunftsforschung und Szenariotechnik in Innovation und Entwicklung

Das aktuelle Forschungsprojekt knüpft an mehrere vergangene Forschungsarbeiten an (am Ende dieses Artikels haben wir Quellen und weiterführende Literatur für Sie zusammengefasst), darunter der Szenariorahmen von Pernestål et al. sowie die Erkenntnisse von Eriksson und Simme und das von Bodén und Björkvall entwickelte Modell zur Beurteilung und Bewertung modularer Designkonzepte und konfigurierbarer Produkte. 

Unter der Fragestellung “How will digitalization change freight transportation? Future scenarios for the digitized freight transportation landscape with Sweden as a case study” haben Pernestål et al. einen Szenariorahmen erarbeitet, der als Grundlage für unsere Forschung diente. Die Studie hat anhand vier verschiedener Zukunftsszenarien untersucht, wie die Digitalisierung den Straßengüterverkehr in den jeweils skizzierten Szenarien verändern würde. Durch Interviews und im Austausch mit anderen Experten aus der Fahrzeugindustrie, Verkehrsdienstleistern und staatlichen Einrichtungen konnten wir das Modell im Laufe der Zeit mit eigenen Erkenntnissen ergänzen, um es an unsere Forschungszwecke anzupassen. 

Eine frühere Studie zum Einsatz von Methoden der Zukunftsforschung im Innovationsprozess von Produktionsunternehmen der Schienen- und Straßenfahrzeugindustrie hat gezeigt, dass solche Szenarien bei Aktivitäten auf Unternehmens- und Strategieebene eingesetzt werden, im nachgelagerten Innovations- und Entwicklungsprozess jedoch weitgehend ungenutzt bleiben oder nur unzureichend in diesen integriert sind.  

Der Einsatz von Szenarien endet demnach meist auf der Kommunikations-, Strategie- oder Planungsebene, ohne dass ein Rahmen zu Informationsmodellierung entwickelt wird, der die iterative und gleichzeitige Entwicklung von Teilsystemen ermöglicht oder zur Bewertung der Erfüllung von bestimmten Leistungszielen beziehungsweise der Belastbarkeit von Produktarchitekturen im Laufe der Zeit verwendet werden kann. 

In diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen ist das von Bodén und Björkvall im Rahmen einer früheren Studie erstellte Modell zur Bewertung der Eignung verschiedener Konfigurationen von batterieelektrischen und brennstoffzellenbetriebenen Elektro-Lkw für unterschiedliche Zukunftsszenarien. Eben dieses Modell soll im Rahmen der hier vorgestellten Studie weiterentwickelt werden. 

Leseempfehlung: Noch mehr zum Thema, wie Modularisierung und Zukunftsforschung miteinander verknüpft werden können, um sich mit einem modularen Baukasten auf eine ungewisse Zukunft einzustellen, lesen Sie in unserem Blog-Artikel “Mit Szenariotechnik ein zukunftssicheres Produktportfolio entwickeln“.  

Zielsetzung des “Super Brain”-Projekts

Aufbauend auf den im vorherigen Abschnitt referenzierten Arbeiten verfolgt das hier vorgestellte Projekt das Ziel, verschiedene Szenarien für den urbanen und innerstädtischen Verkehr zu erforschen und darauf aufbauend verschiedene Mobilitätslösungen zu bewerten, um Unternehmen bei der Entwicklung innovativer Lösungen im Bereich der Plattformentwicklung, Produktplanung, Modularisierung, Kreislaufwirtschaft und Design Thinking zu unterstützen. Im Fokus des Projekts stehen elektrifizierte Lkw, insbesondere deren Energieinfrastruktur und Batterien. 

Konkret geht es bei der Studie darum, eine systematische Methode zu entwickeln, mit der Zukunftsszenarien im Design- und Innovationsprozess der Plattformentwicklung verwendet werden können. Während das von Bodén und Björkvall entwickelte Modell darauf abzielt, modulare Designkonzepte und konfigurierbare Produkte über mehrere Zukunftsszenarien hinweg auf Fahrzeugebene zu bewerten, soll das aktuelle Forschungsprojekt diesen Ansatz in drei verschiedenen Dimensionen weiterentwickeln: 

  • Kritische Betrachtung und Auswahl von Szenarien, die berücksichtigt werden 
  • Auswirkungen des Einsatzes von Batteriemodulen sowie deren Lebenszyklen und zirkuläre Geschäftsmodelle zur Verwaltung der Komponenten auf die Leistung von Lkw 
  • Nutzbarkeit von Methoden aus den Bereichen Modularisierung und Design Thinking, um die zukünftige Belastbarkeit von Organisationen und modularen Konzepten zu verbessern 

Unter Kombination der drei oben beschriebenen Aspekte können Feedbackschleifen eingerichtet werden, um die Bewertung von Design und modularen Konzepten in Hinblick auf künftige Performance und Resilienz kontinuierlich zu verbessern. Durch Ergänzung des so erstellten Modells durch Design-Thinking und Visualisierungen soll es möglich werden, ein tiefgreifendes Verständnis der bestehenden Herausforderungen zu erlangen, Ansätze für die Validierung der Methoden zu identifizieren und diese schrittweise in existierende Methoden und Werkzeuge zu integrieren. 

Übersicht der Projektphasen und angestrebte Durchführung

Das Projekt wurde in fünf Arbeitspakete unterteilt:  

  1. Entwicklung der Szenarien zur Beurteilung verschiedener Designvarianten  
  2. Erstellung von Designstrategien und Generierung von Konzepten 
  3. Überprüfung von Robustheit und Konsistenz von Strategien und Konzepten 
  4. Evaluation der erstellten Szenarien und Strategien 
  5. Aktualisierung des erstellten Frameworks 

 Die Schritte 1, 2 und 3 wurden erfolgreich vor Ende von Q3 abgeschlossen. Die Arbeitspakete 4 und 5 wurden in Q2 beziehungsweise Q4 begonnen mit dem Ziel, bis Ende 2022 Empfehlungen für Designstrategien batteriebetriebener Elektrofahrzeuge und Konzepte mit Blick auf zirkuläre Geschäftsmodelle, Modularisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu entwickeln. Begleitend zum Projekt wurden drei Masterarbeiten in Q1 und Q2 durchgeführt und abgeschlossen. 

Zukunftsszenarien-Plattformen-Modularisierung-Zeitplan

Parallel zur Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen, Unternehmen und Fachleuten aus der Branche wurden Workshops in Stockholm und Göteborg durchgeführt. Zur besseren Koordination der unterschiedlichen Aktivitäten fanden zudem zweiwöchentliche Treffen statt. Eine wichtige Quelle neuer Erkenntnisse in dem Bereich war außerdem die Vernetzung mit anderen Forschern über das ECO2-Forschungszentrum.  

Eine abschließende Analyse, die sich auf das Veränderungs- und Transformationsmanagement in Verbindung mit den Zukunftsszenarien in den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit konzentriert, wird in Zusammenarbeit mit Studenten des letzten Studienjahres im Fach Industriemanagement an der KTH durchgeführt. Etwa 20 Studenten sind an dieser Analyse beteiligt. Unterstützung in Form von technischem Know-how bietet VOLVO Technology und das Integrated Transport Research Lab (ITRL) der KTH in Form eines laufenden Dialogs mit den Studenten.  

In einer eigens für das Projekt organisierten Fragerunde mit Leif Östling teilte der ehemalige CEO von Scania Trucks und jetziges Vorstandsmitglied von Modular Management seine Erfahrungen und Ideen. Als eine der weltweit führenden Autoritäten auf dem Gebiet der Modularität stellte Leif Östling einen direkten Bezug her zwischen der Modularisierungserfahrung von Scania und den Herausforderungen, denen sich Lkw-Hersteller heutzutage und auch in Zukunft stellen müssen.  

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Rahmen des aktuellen Projekts haben wir die aus vorherigen Studien übernommenen Verkehrsszenarien und Bewertungsmodelle mit Trends und Erkenntnissen zu Besitz, Betrieb und Design von schweren batterieelektrischen Fahrzeugen sowie ihrer Batterien durch neue Inputs aus Literaturstudien, Interviews und Workshops ergänzt (vgl. WP1 und WP2).  

Zu den konkreten Inputs, die in diesem Schritt zusammengetragen wurden, zählen Informationen bezüglich der verschiedenen Faktoren, die die Zukunftsszenarien beeinflussen können (Material- und Beschaffungskosten, staatliche Subventionen etc.), die verschiedenen Anwendungsparameter (Streckenlänge, Lkw-Konfigurationen etc.) sowie strategische Aspekte der Batterienutzung (Alterungszustand, Entladetiefe etc.).   

Zukunftsszenarien-Plattformen-Modularisierung-Ergebnisse

In einem nächsten Schritt ging es darum, ein Bewertungssystem für die Nutzung von batterieelektrischen Fahrzeugen und damit in Verbindung stehenden zirkulären Geschäftsmodellen und -szenarien zu erarbeiten.  

Darüber hinaus wurden alle am Konstruktionsprozess und Betriebslebenszyklus der Lkw und ihrer Batterien beteiligten Stakeholder ermittelt, wodurch neue Erkenntnisse über die verschiedenen Schlüsselfaktoren für Konstruktion und Betrieb nachhaltiger, effektiver Verkehrslösungen und Fahrzeuge erlangt wurden. Darauf aufbauend wurden neue und umfassendere Anwendungen, Forschungsfragen und Interessengruppen für künftige Forschungsprojekte erarbeitet.  

Zukunftsszenarien-Plattformen-Modularisierung-Inputs-Outputs

Das Gesamtergebnis der hier vorgestellten Studie ist eine Methode für szenarioadaptives Plattformdesign inklusive eines analytischen Modells sowie eines Szenariorahmens für die Bewertung von Produktarchitekturen, -systemen und -strategien. Auf der Basis unterschiedlicher Inputs liefert das analytische Modell Einblicke hinsichtlich der besten Lkw-Konfigurationen, Gesamtkosten des jeweiligen Produkts (TCO), Gesamtanlageneffektivität (OEE) und Nachhaltigkeit. 

Abschließend wurde die komplette Methode mitsamt des entwickelten Modells verschiedenen Interessengruppen vorgestellt. 

Ausblick

Das hier vorgestellte Projekt ist ein Beispiel der Forschungsarbeiten, die Modular Management in Zusammenarbeit mit seinen Kunden und Partnern und mit dem ECO2 Centre for Vehicle Design am Royal Institute of Technology (KTH) in Stockholm durchführt. Federführend für Organisation und Durchführung waren Rikard Bodén, Arne Erlandsson und Colin de Kwant von Modular Management.  

Daneben gilt ein besonderer Dank allen Mitwirkenden und Partnern, die am Projekt beteiligt waren: Gunnar Björkman und Håkan Björklund von VOLVO Technology, Matilda Henriksson, Sandra Molander und Charlotta Sahlin von Yovinn und Pollen in Göteborg, Adam Wiberg und Johan Andersson von der KTH, Britan Kilic von der Universität Örebro, Lars Uppvall von der KTH und Claudia Andruetto vom Integrated Transport Research Lab (ITRL) der KTH. 

Wenn Sie Interesse daran haben, mehr über unser letztes Forschungsprojekt und den Einsatz der szenarioadaptiven Plattformentwicklung für innovative und nachhaltige Mobilitätslösungen zu erfahren, empfehlen wir Ihnen unser Webinar zu dem Thema. Im Webinar werden Sie erfahren, wie Sie Ihr Unternehmen mit einem modularen Designansatz auf eine unsichere Zukunft vorbereiten.

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Colin de Kwant

Consultant

+46 736 20 11 31
colin.dekwant@modularmanagement.com

 

Veröffentlichungen und weiterführende Links

Colin de Kwant et al. - The role of product design in circular business models: An analysis of challenges and opportunities for electric vehicles and white goods

Linda Eriksson and Lina Simme -The Application of Futures Studies in Innovation Processes https://www.modularmanagement.com/blog/futures-studies-in-innovation-processes

Anna Pernestål et al. - How Will Digitalization Change Road Freight Transport? Scenarios Tested in Sweden

Rikard Bodén, Simon Björkvall - Sustainable mobility scenario modeling — Evaluating future resilience of modular concepts for electrified trucks

Colin de Kwant, Rikard Bodén, Arne Erlandsson - Sustainable mobility scenario modeling — Evaluating future resilience of modular concepts for electrified trucks

Britan Kilic - Future changes in the road freight transportation industry: An application of future scenarios

Adam Wiberg, Johan Andersson – Evaluating Business Models and Battery Usage in Battery Electric Trucks: : A Simulation Model for Future Scenarios (diva-portal.org)