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Alles, was Sie zu Komplexität und Komplexitätskosten wissen müssen

Geschrieben von Ingo Bögemann | 22.03.2022 06:00:00

Für Unternehmen, die heutzutage erfolgreich ihre Produkte verkaufen wollen, reicht es nicht mehr aus, ihren Kunden ein standardisiertes Produktportfolio anzubieten. Der Kunde von heute erwartet an seine Anforderungen angepasste Lösungen bestehend aus Mechatronik, Software, Service und Dienstleistungen. Unternehmen, die es verpassen, ihren Kunden die gewünschte Produktvielfalt zu bieten, laufen Gefahr von der Konkurrenz überholt zu werden.

Abgesehen von dem Druck, mit der Konkurrenz mitzuhalten, stellt das Anbieten kundenindividueller Lösungen Unternehmen vor ein entscheidendes Problem: Mit jeder neuen Produktvariante steigt die Komplexität in der gesamten Wertschöpfungskette und die damit verbundenen Kosten. Gewinnmargen werden zunehmend kleiner, während ein immer größerer Anteil der Umsätze den Komplexitätskosten zum Opfer fällt. Gleichzeitig leidet die Produktivität der Entwicklung unter der immer größer werdenden Last eines stetig wachsenden Produktportfolios, das kaum noch Raum für Innovation und neue Entwicklungen lässt.

Ein erster Schritt auf dem Weg zur Lösung des Komplexitätsproblems ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema, um die dahinterstehenden Prinzipien besser zu verstehen und in der Folge eine passende Lösungsstrategie zu entwickeln. In diesem Blog-Artikel möchten wir Ihnen das notwendige Wissen an die Hand geben, um erfolgreich mit Komplexität in Ihrem Unternehmen umzugehen. Dazu werden wir eine Reihe verschiedener Themenbereiche näher betrachten. Neben einem Überblick zur Komplexität, ihren Ursachen und Symptomen, werden wir uns ansehen, wie sich Komplexitätskosten quantifizieren lassen, bevor wir Ihnen abschließend erläutern, wie Sie optimale Komplexität in Ihrem Unternehmen umsetzen und welche Vorteile Sie dadurch erreichen können.

Was ist Komplexität?

Obwohl die genaue Definition von Komplexität je nach Kontext und Autor variiert, lässt sich allgemein festhalten, dass Komplexität das Gesamtverhalten eines Systems beschreibt, welches aus diversen Komponenten besteht, die unter Einhaltung systeminterner Regeln miteinander interagieren. Unter dem Begriff System verstehen wir in diesem Kontext ein Unternehmen mitsamt seiner gesamten Produktpalette, die wiederum aus einer Vielzahl unterschiedlicher Teile, Baugruppen sowie Produkten besteht und an der verschiedene Personen in unterschiedlichen Abteilungen beteiligt sind.

Um den Begriff eines komplexen Systems besser zu verstehen, bietet es sich an, diesen im Vergleich zu einem komplizierten System zu betrachten. Ein System wird als kompliziert eingestuft, wenn es sich aus vielen verschiedenen Elementen zusammensetzt. Ein komplexes System vereint ebenfalls diverse Elemente. Hinzu kommt hierbei jedoch noch, dass sich ein komplexes System im Laufe der Zeit dynamisch verändert.

Auch wenn zunehmende Komplexität im Unternehmen, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, schnell zu einem Problem werden kann, darf man nicht vergessen, dass ein gewisser Grad an Komplexität notwendig ist und bestehen bleiben muss - vor allem in Bezug auf die Auswahl beim Produktportfolio. Die Kunst besteht darin, Vielfalt und Komplexität dort zu ermöglichen, wo sie nützlich ist, und dort zu reduzieren, wo sie keinen Nutzen hat.

Ursachen und Auswirkungen von Komplexität im Unternehmen

Komplexität im Unternehmen manifestiert sich auf verschiedene Arten. Da die Auswirkungen steigender Komplexität sich als negative Effekte bemerkbar machen, kann man in Anlehnung an ein Krankheitsbild in diesem Zusammenhang auch von Komplexitätssymptomen sprechen.

Zu den wichtigsten Anzeichen eines zunehmend komplexer werdenden Systems gehören:

 

  • Ineffizienz in der Entwicklungsabteilung, die mit verlängerten Entwicklungszeiten und einem zunehmenden Instandhaltungsaufwand bestehender Produkte zulasten der Innovationskraft einhergeht.
  • Längere Vorlaufzeiten, die im schlechtesten Fall zu einem Verlust von Kundenaufträgen führen.
  • Erhöhte Kosten für Lagerung und Inventar eines komplexen Produktportfolios, die unnötig Kapital binden, das andernorts besser eingesetzt werden könnte.
  • Steigende Kosten für Qualitätserhalt, da zu viele Qualitätsprobleme gelöst werden müssen und gerade bei Neueinführungen viele Feedback- und Verbesserungsschleifen durchlaufen werden müssen.
  • Ausbleibender Anstieg des Gewinns trotz höherer Umsätze, weil durch stark ansteigende Komplexitätskosten die Profitabilität sinkt.

Leseempfehlung: Eine konkrete Anleitung, wie Sie am besten mit sinkender Effizienz Ihrer Entwicklungsteams umgehen, bietet Ihnen unser Blog-Artikel “Mehr Effizienz in der Produktentwicklung dank Modularisierung”. Eine konkrete Case Study zum Thema Komplexität finden Sie unter “Wenn Komplexität die Entwicklung schachmatt setzt”.

Während die Symptome zunehmender Komplexität ohne größere Schwierigkeiten zu identifizieren sind, fällt die Ermittlung der Ursachen in den meisten Fällen um einiges schwerer. Hinter einer hohen Komplexität im Unternehmen steht meist ein über mehrere Jahre hinweg entstandenes Ursachengeflecht. Zu den typischen Ursachen gehören:

  • Umstrukturierungsmaßnahmen von Unternehmensbereichen, entweder im Rahmen von Kostenreduktionsinitiativen oder wegen Zukauf von neuen Unternehmensbereichen.
  • Vertrieb stark divergierender Produktfamilien wegen Fokussierung auf Nischenprodukte
  • Einführung zusätzlicher Produktfamilien im Niedrigpreissegment, die die Konkurrenzfähigkeit gewährleisten sollen, aber separat verwaltet werden müssen.
  • Projektorientierung in der Produktentwicklung, die zu immer mehr Produktvarianten führt.

In der Summe ist steigende Komplexität ohne effizientes Komplexitätsmanagement immer mit höheren Kosten für das Unternehmen verbunden. Um dem entgegenzuwirken, müssen Unternehmen genau verstehen, wie sich die Kosten von Komplexität zusammensetzen und wie sie sich quantifizieren lassen.

Was sind Komplexitätskosten und wie können sie berechnet werden?

Unter dem Begriff Komplexitätskosten lassen sich jegliche Kosten zusammenfassen, die mit der im Unternehmen herrschenden Variantenvielfalt und der daraus resultierenden Vielzahl der technischen Lösungen im Zusammenhang stehen. Diese Kosten umfassen sowohl anfallende Material-, Inventar- und Qualitätskosten als auch operative Kosten. In die Höhe getrieben werden diese Kosten jeweils durch verschiedene Faktoren, die ebenfalls die interne Komplexität erhöhen. Zu diesen Komplexitätstreibern gehören die Vielzahl der Produkte und Bauteile einschließlich Software (inklusive ihrer jeweiligen Varianten), die Struktur der Produktarchitekturen und nicht zuletzt die unterschiedlichen an der Lieferkette beteiligten Akteure. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht das Zusammenspiel von Kostenpunkten und Komplexitätstreibern.

Um Komplexitätskosten zu quantifizieren und den Einfluss einzelner Komplexitätstreiber abzuschätzen, kann eine vereinfachte Prozesskostenrechnung im Zusammenhang mit einer komplexitätsbezogenen Aktivitätenanalyse auf Abteilungsebene durchgeführt werden. Wie in der nachfolgenden Grafik dargestellt, wird damit die Frage beantwortet, welcher Anteil der Kosten auf die Vielfalt einzelner Komplexitätstreiber entfällt.

Auf der Basis dieser Berechnungen lassen sich dann Zielsetzungen und KPIs für das Reduzieren beziehungsweise Optimieren der im Unternehmen anfallenden Komplexitätskosten aufstellen.

Leseempfehlung: Eine detaillierte Ausführung, wie eine solche Prozesskostenrechnung zur Ermittlung der unternehmensinternen Komplexitätskosten aussehen kann, bietet Ihnen unser Blog-Artikel “Komplexitätskosten - So gelingt die Berechnung”. Eine eingehende Analyse der verschiedenen Komplexitätstreiber und wie sich diese mit den operativen Kosten in Relation setzen lassen, finden Sie in unserem Beitrag “Von Komplexität zu Profitabilität - Der Wert eines Baukastensystems”.

Reduzieren oder optimieren? So gehen Sie am besten mit Komplexität im Unternehmen um

Das Ziel vieler Unternehmen besteht in einer Senkung der Komplexitätskosten, um dadurch die Gewinnmargen zu erhöhen und so höhere Renditen zu erzielen. Eine häufig gewählte, wenn auch nicht zwangsläufig empfehlenswerte, Vorgehensweise besteht in der Standardisierung des Produktportfolios durch Produktabkündigung, um so die zuvor beschriebenen Komplexitätssymptome zu bekämpfen. Genau darin liegt allerdings auch das Problem. Das eigene Produktportfolio zu standardisieren mag vielleicht oberflächlich Komplexitätssymptome lindern, bekämpft allerdings nicht die dahinter versteckten Ursachen.

Selbst wenn durch Abkündigung wenig verkaufter Produktvarianten, dem sogenannten “Long tail”, eine kurzfristige Kostenersparnis erwirkt werden kann, so fällt diese meist geringer als erwartet aus und ist nicht von Dauer. Und mehr noch: Wenn wir Produktvarianten aus dem Programm nehmen, kann das auf lange Sicht zu Umsatzeinbußen führen, wenn Kunden die von ihnen gewünschte Lösung nicht finden und deshalb auch mit dem Rest ihrer Anfragen zur Konkurrenz gehen. Komplexität durch eine Verkleinerung des Produktportfolios zu reduzieren ist also keine langfristige Lösung für das Komplexitätsproblem. Vielmehr geht es darum, das Level an Komplexität durch eine variable Produktarchitektur mit standardisierten Schnittstellen zu optimieren. Die passenden Tools dazu liefert ein modulares Baukastensystem.

Leseempfehlung: Lesen Sie in unserer Case Study, wie Modularisierung im Maschinenbau Komplexität reduziert.

Mit Modularisierung zur optimalen Komplexität im Unternehmen

Wie bereits zuvor erwähnt, ist Komplexität notwendig, um die Produktvielfalt auf einem Level zu halten, mit dem die Wünsche und Anforderungen der Kunden ausreichend erfüllt werden können. Dieser notwendige Komplexitätsgrad muss für ein Unternehmen keineswegs zum Problem werden. Die sich hierbei ergebende Herausforderung besteht darin, die Produktarchitektur so zu gestalten, dass die Variantenvielfalt mit einem vertretbaren Kostenaufwand entwickelt, produziert, verkauft und über den Lebenszyklus weiterentwickelt werden kann. Eine Strategie, um Profitabilität und Agilität im Variantenmanagement zu gewährleisten, ist Modularisierung.

Im Zuge der Modularisierung wird das Produktportfolio so strukturiert, dass verschiedene Produktvarianten flexibel aus einem Baukasten an austauschbaren Funktionsbausteinen (Modulen) zusammengesetzt werden können. Modulvarianten werden dabei zu verschiedenen Produktkonfigurationen zusammengesetzt, was die Anzahl der notwendigen Bauteile erheblich reduziert und das Entwickeln neuer Varianten effizienter und schneller macht. Über eine Standardisierung von Technologien wird folglich eine Reduzierung der technischen Komplexität erreicht. Die Produktvielfalt wird erhalten, während die Komponentenvielfalt - und damit einer der zentralen Komplexitätstreiber - reduziert wird. Im Vergleich zur herkömmlichen Variantenreduktion, bei der einfach die Komponenten mit dem kleinsten Produktionsvolumen aus dem Programm genommen werden, wird bei der Modularisierung die Anzahl der Bauteilvarianten systematisch über die komplette Produktarchitektur hinweg verringert. Die aus Kundensicht notwendige Varianz bleibt dabei erhalten bzw. kann auch gezielt vergrößert werden.

Leseempfehlung: Mehr zum Thema Komplexitätsoptimierung mithilfe von Modularisierung erfahren Sie in unseren Beiträgen “Besser als Standardisierung: Mit einem Baukastensystem Komplexität optimieren” und “Mit einem Baukastensystem optimale Komplexität in 4 Schritten realisieren”.

Was sind die Vorteile optimierter Komplexität im Unternehmen durch eine modulare Produktarchitektur?

Komplexität mithilfe einer modularen Produktarchitektur zu optimieren, bringt eine Reihe an Vorteilen mit sich. Einige dieser Vorteile wurden in den vorherigen Abschnitten bereits implizit erwähnt, ohne jedoch klar als solche benannt zu werden. Von daher wollen wir den Nutzen eines gelungenen Variantenmanagements durch Modularisierung an dieser Stelle noch einmal kurz zusammenfassen.

Grundsätzlich besteht der große Vorteil eines modularen Baukastens darin, eine größere Variantenvielfalt bei gleichzeitig reduziertem internem Aufwand zu ermöglichen. Eine modulare Strukturierung der Produktarchitektur erlaubt eine größere Wiederverwendbarkeit einzelner Bauteile. Dadurch verringert sich die Gesamtanzahl der Teilenummern, es werden weniger Lieferanten benötigt, die Montage wird vereinfacht und beschleunigt und die Komplexität im Unternehmen nimmt ab. Außerdem führt eine modulare Produktarchitektur zu verkürzten Entwicklungs- und Lieferzeiten. In der Summe erwirken diese Verbesserungen eine Umsatzsteigerung im Unternehmen, während im gleichen Zug Kosten eingespart werden können. Die Profitabilität des Unternehmens steigt folglich in zweierlei Hinsicht.

Komplexität im Unternehmen - nicht zwangsläufig ein Problem

Das Thema Komplexität beschäftigt Unternehmen jeder Größenordnung. Wie wir in diesem Blog-Artikel gesehen haben, steht das interne Komplexitätslevel in direktem Zusammenhang mit der Profitabilität als auch Agilität des Unternehmens. Die finanziellen Auswirkungen einer zu hohen Komplexität lassen sich in Form von Komplexitätskosten quantifizieren, die einen guten Überblick über mögliche Ansatzpunkte zur Verbesserung bieten.

Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass Komplexität nicht per se “schlecht” ist, sondern dass ein gewisser Komplexitätsgrad zum Erhalt der Produktvielfalt nicht vermieden werden kann. Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, das für sie notwendige Niveau an Komplexität zu ermitteln und zu optimieren. Durch eine Standardisierung des Produktportfolios lassen sich zwar kurzzeitig die mit hoher Komplexität verbundenen Probleme verringern und Kostenersparnisse erzielen, um langfristig das Komplexitätsproblem zu lösen und den Erfolg des Unternehmens zu gewährleisten, bedarf es jedoch einer anderen Vorgehensweise. Um dem Kunden ein ausreichend großes Produktportfolio zu bieten, ohne dabei in die Komplexitätsfalle zu treten, braucht es eine modulare Produktarchitektur.

Ein modulares System erlaubt die effiziente Verwaltung eines Sets standardisierter technischer Lösungen, die unter Einhaltung bestimmter Regeln zu verschiedenen Produktvarianten anhand standardisierter Schnittstellen zusammengesetzt werden können. Das Ergebnis sind geringere Komplexitätskosten bei gleichzeitig gesteigerten Umsätzen.

Verschaffen Sie sich eine erste Einschätzung über die Komplexitätskosten in Ihrem Unternehmen. Nutzen Sie hierzu unser einfaches Excel-Template zur Berechnung:

Autor

Ingo Bögemann
Senior Consultant
ingo.bogemann@modularmanagement.com
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