In vielen Unternehmen ist das angebotene Produktportfolio noch immer stark technisch geprägt. Portfolios sind historisch gewachsen und setzen sich aus Produktvarianten zusammen, die im Rahmen vergangener Kundenprojekte entwickelt wurden. Dieses Portfolio, das eine Abbildung der projektorientierten Vergangenheit ist, wird dann noch ergänzt durch Lösungen, die getrieben sind vom technischen Fortschritt in den Entwicklungsabteilungen.
Ein solch historisch gewachsenes Produktportfolio, opportunistisch ergänzt durch technischen Fortschritt, ist aber nur indirekt am tatsächlichen Kundenbedarf im Markt orientiert. Das führt dazu, dass das Portfolio den Kundenbedarf nur unzureichend abdeckt. Entweder entspricht der Nutzen durch das Produkt nicht den Anforderungen der Kunden oder die Produktpreise sind nicht konkurrenzfähig, da Produkte over engineered sind.
Diese Herausforderung trifft auch auf die Entwicklung modularer Produktarchitekturen zu. Viele Unternehmen fokussieren sich auf die rein technische Implementierung von Modularisierung und vernachlässigen die Verankerung von Unternehmensstrategie und Kundennutzen in der Produktarchitektur, was dazu führt, dass das Investment in eine Modularisierung nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt.
Modularisierung ist eine unternehmerische Investition, die mit einem initialen Aufwand in der Entwicklung einhergeht („Frontloading“, siehe Grafik). Umso wichtiger ist, dass ein modularer Baukasten die Bedürfnisse der Kunden zielgenau bedient. Nur so kann dieser langfristig erfolgreich sein. Kundennutzen und Unternehmensstrategie sollten deshalb von Anfang an in der modularen Produktarchitektur verankert werden.
In diesem Blogartikel möchten wir Ihnen zeigen, wie Sie die sogenannte Customer Canvas-Darstellung verwenden können, um Produkte systematisch am Kundennutzen auszurichten. Diese ermöglicht, die Unterschiede zwischen verschiedenen Kundensegmenten zu ermitteln und zu veranschaulichen. Mit dem Customer Canvas können für verschiedene Kundennutzen das Leistungsniveau von Produkten mit den Erwartungen der Kundensegmente verglichen werden. Es unterstützt auf diese Weise die Definition von neuen, besser am Kundenbedarf ausgerichteten Produkten.
Der Outside-In Ansatz – Produktplanung auf Basis des Kundennutzen
Kunden kaufen Produkte zur Erfüllung eines Bedürfnisses oder einer Aufgabe und sie haben eine Reihe von Erwartungen an die Nutzung des Produktes. Diese Erwartungen können in Form von Kundennutzen, die der Kunde im Verlauf des Customer Experience Cycle erfährt, beschrieben werden. Wie die Abbildung zeigt, beschränken sich die Erfahrungen mit einem Produkt nicht ausschließlich auf die tatsächliche Nutzung des Produktes, sondern beinhalten auch Phasen wie Anschaffung oder Wartung.
Die Kundennutzen oder Vorteile, die ein Kunde in den Phasen des Customer Experience Cycle erfährt, lassen sich in folgende Kategorien einteilen:
- Geld
- Zeit
- Gesundheit
- Sicherheit
- körperliche Anstrengung
- geistige Anstrengung
- Komfort
- Anerkennung
- Prestige
Produkte liefern Kundennutzen in einigen oder allen dieser Kategorien. Das Nutzenprofil eines Produktes lässt sich im Customer Canvas darstellen.
Marksegmente anhand des Kundenbedarfs definieren
Im Rahmen der Marktsegmentierung auf Basis des Kundenbedarfs nutzen wir die verschiedenen Kundennutzen, um die Unterschiede zwischen Kunden zu beschreiben und diese in Gruppen einzuteilen. Diese Kundensegmente vereinen so Kunden, die ähnliche Erwartung an den Nutzen des Produktes haben. Der Kundenbedarf bzw. -nutzen für die Kunden durch ein Produkt ergibt sich aus dessen Aufgaben- bzw. Problemstellung, die ein Kunden für sich gelöst haben möchte und welche Erfüllungsgüte für ihn ausreichend ist – das sogenannte „good enough“, das auch „trade-offs“ in Bezug auf Leistungserfüllung zu Preis zum Ausdruck bringt.
Hierbei ist der Unterschied zur klassischen Kundensegmentierung hervorzuheben, bei der Kunden meist auf Basis demographischer Merkmale (z. B. Industrien, Region) oder Verhalten (z. B. Risikobereitschaft, Lifestyle) in Segmente eingeteilt werden.
Für jedes dieser nutzenbasierten Kundensegmente lässt sich ein Nutzenprofil erstellen. Dieses Profil stellt den für das Segment idealen Erfüllungsgrad der verschiedenen Kundennutzen dar. Dieses Nutzenprofil dient dann als Vergleichsgröße für die Bewertung der eigenen Produkte und der Produkte von Mitbewerbern.
Die folgende Grafik zeigt solche Nutzenprofile für verschiedene Kundensegmente im Customer Canvas. Für die verschiedenen Kundensegmente ist jedem Kundennutzen eine Bewertung der Wichtigkeit zugeordnet. So sehen wir für unser Beispielprodukt, dass das Kundensegment 2 dem Kundennutzen „reinigt gut“ eine hohe Wichtigkeit zuordnet. Das Kundensegment 3 hingegen bewertet diesen Kundennutzen als weniger wichtig. Es wird ersichtlich, warum es unterschiedlicher Produktvarianz bedarf.
Zur Erstellung dieser Nutzenprofile wird im ersten Schritt eine Hypothese auf Basis des Marktwissens des Unternehmens mithilfe interner Kundenerfahrungen erstellt. Diese Hypothese wird dann im Rahmen von Kundeninterviews validiert und adaptiert. Dieser Prozess hat sich als erfolgreich erwiesen, sowohl für Unternehmen mit großer Erfahrung im Bereich Markt- und Kundenforschung als auch für Firmen, die ihre ersten Schritte in diesem Bereich machen. Es spielt auch keine Rolle, ob im B2B oder B2C Geschäftsumfeld.
Leseempfehlung: Erfahren Sie mehr über die Definition von Marktsegmenten in unserem Blogartikel Produktmanagement & Modularisierung: Was wollen Ihre Kunden wirklich?
Potentiale im Customer Canvas identifizieren
Die Bedeutung der verschiedenen Kundennutzen für die einzelnen Kundensegmente wird im Customer Canvas sichtbar. Das Customer Canvas gibt so einen Überblick über das individuelle Nutzenprofil, dass jedes Kundensegment von einem Produkt erwartet.
Das Customer Canvas kann nun dazu genutzt werden, die Marktstrategie umzusetzen. Hierzu wird die Sicht auf den erwarteten Nutzen der Kundensegmente mit einer Darstellung des gelieferten Nutzens der eigenen Produkte verknüpft. Wie die Grafik zeigt, gelingt es so, die Leistungsniveaus der eigenen Produkte sowie der Produkte von Mitbewerbern mit den Erwartungen eines Kundensegments zu vergleichen.
Das Canvas macht quantifiziert sichtbar, wie gut die Produkte eines Unternehmens die Erwartungen seiner Kunden erfüllen. Hierbei wird für verschiedene Kundensegmente verglichen, wie gut eigene Produkte und Produkte von Mitbewerbern dem Kundennutzenprofil des Segments entspricht. Auf diese Weise werden Potentiale für neue Produkte und Veränderungen an Produkten identifiziert.
Werden Erwartungen in bestimmten Kundennutzen nicht erfüllt, sind dies Bereiche für Verbesserungen am Produkt, werden Kundennutzen übererfüllt, so können hier Kosten aufgrund von Überspezifikation reduziert werden. Ist das Nutzenprofil des eigenen Produktes dem eines Wettbewerbers sehr ähnlich, so können hier gezielte Maßnahmen zur Differenzierung abgeleitet werden.
Der Vergleich mit den Wettbewerbsprodukten wird anhand objektiver Messgrößen durchgeführt. Dies gelingt, indem Kundennutzen nachvollziehbar mit messbaren Produkteigenschaften verbunden werden. Dies ist möglich, da im Rahmen der MFD-Methode® von Anfang an Kundennutzen mit den quantifizierbaren Eigenschaften des Produktes verknüpft werden. Durch diese Verknüpfung lassen sich so aus Zielen für Leistungsniveaus verschiedener Kundennutzen auch Ziele für Eigenschaften des Produktes ableiten, die dann als Anforderungen Eingang in die Entwicklung des Produktes finden können. So ergibt sich die Verknüpfung von Marktstrategie und Produktstrategie.
Auch der Einfluss von zukünftigen Entwicklungen in Marktsegmenten kann im Customer Canvas berücksichtigt werden. Wenn sich z.B. die Erwartungen der Kunden in Bezug auf einen Nutzenbereich in Zukunft erhöhen, so bedeutet dies, dass sich hier eine Differenz zu den Fähigkeiten des aktuellen Produkts auftut oder vergrößert. Die Einbeziehung dieser Perspektive erlaubt eine zukunftsgerichtete Planung der eigenen Entwicklungstätigkeiten eines am Kundennutzen ausgerichteten Produktportfolios.
Lenken eines Produktfamilienportfolios
Das Customer Canvas kann auch zum Lenken bzw. Steuern eines Produktportfolios genutzt werden. So sollen Produkte in ihren jeweiligen Kundensegmenten die Bedürfnisse der Kunden passgenau erfüllen, sich aber gleichzeitig noch von Produkten der Mitbewerber differenzieren. Diese Differenzierung muss aber auch innerhalb des eigenen Portfolios gegeben sein.
Unterschiedliche Nutzenprofile und entsprechende Preise befördern die Differenzierung verschiedener Produkte bzw. Produktlinien in der Kundenwahrnehmung.
Wenn es jedoch Überlappung in den Nutzenprofilen verschiedener Kundensegmente gibt, können diese strategisch genutzt werden. Eine ähnliche Anforderung, z.B. in Bezug auf Handlichkeit wie hier in der Grafik dargestellt, bietet die Möglichkeit technische Lösungen zwischen den verschiedenen Produkten zu vereinheitlichen.
Der gesamte Nutzen eines Produktes ist die Summe der Leistungsniveaus in den einzelnen Nutzenbereichen. Im Customer Canvas entspricht dies der Fläche unterhalb des Nutzenprofils. Dieser Gesamtnutzen sollte auch zur Preisbildung herangezogen werden. Preisunterschiede zwischen Produkten sollten sich am Unterschied des Gesamtnutzen zwischen Produkten orientieren.
Best Practices für die Portfolioplanung mit Kundennutzen
Im Folgenden wollen wir noch eine Auswahl von Vorgehensweisen mit Ihnen teilen, die sich bei der Produktportfolioplanung anhand von Kundennutzen bewährt haben.
Kundennutzen an der Stimme des Kunden orientieren (voice of customer)
Erfolgreiche Unternehmen verwenden Kundennutzen zur Fokussierung der Entwicklung und zur Einbindung von Kunden-Feedback. Die Unternehmen erfassen hierbei die Gesamtheit des Marktes in Form der zuvor beschriebenen Kundensegmente mit zugeordneten Nutzenprofilen. Diese Segmente und ihre Profile werden über die Zeit beobachtet und kontinuierlich weiterentwickelt. Hierzu wird der Fokus komplett auf die Stimme des Kunden gerichtet. Das Feedback von Kunden wir gesammelt und ausgewertet, um die folgenden Fragen zu beantworten:
- Erhalten die Kunden von den Produkten den Nutzen, den sie erwarten?
- Erhalten die Kunden mehr oder besseren Nutzen von Konkurrenzprodukten?
- Wie unterscheidet sich der wahrgenommene Nutzen zwischen verschiedenen Produkten, Produktlinien, Marken und Preiskategorien?
- Welche konkreten Produkterfahrungen sind entscheidend für den Nutzen des Produktes aus Kundensicht?
- Was für Nutzenniveaus werden in Zukunft erwartet oder benötigt?
Änderungen im Markt in Kundennutzen übersetzen
Veränderungen des Marktes in Bezug auf Kundenerwartungen, Wettbewerb und Technologie lassen sich übersetzen in Veränderungen von Nutzenprofilen. Veränderungen der Kundenerwartungen lassen sich hierbei direkt in das Customer Canvas übertragen. Neue Mitbewerber und neue Technologien müssen bezüglich ihres Einflusses auf das entsprechende Customer Canvas bewertet werden. Diese Veränderungen müssen so dokumentiert werden, dass die angepassten Nutzenprofile abteilungsübergreifend eindeutig nachvollziehbar sind. Je besser die Kundennutzen verstanden sind, desto zielgenauer können Produkte neu entwickelt- und weiterentwickelt werden, um langfristig ertragreich und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Marketing mit Kundennutzen abstimmen
Die Marktansprache ist anhand der Kundensegmente organisiert. Marketingunterlagen kommunizieren, warum ein bestimmtes Produkt besonders geeignet ist für die Bedürfnisse eines Kundensegments. Die Kundenansprache wird zielgenauer und Kunden fühlen sich besser verstanden und abgeholt. Weiterhin werden die Unterschiede zwischen Produktvarianten ebenfalls anhand der unterschiedlichen Niveaus der Kundennutzen beschrieben, so dass Kunden das für sie individuell passende Produkt auswählen können.
Von Marktsegmenten zur Produktplanung
Eine modulare Produktarchitektur verankert Kundennutzen und Unternehmensstrategie in Modulen, die zu einem Gesamtprodukt kombiniert bzw. konfiguriert werden. Diese Module sind durch eine klare Architektur mit standardisierten Schnittstellen gekennzeichnet, so dass neue Modulvarianten zur besseren Erfüllung von Kundennutzen schnell und effizient in Produktvarianten umgesetzt werden können. Das Ergebnis ist ein modularer Baukasten, der einerseits die aus Kundensicht notwendige Produktvielfalt (Economy of Scope) und andererseits eine durch standardisierte Schnittstellen weitgehend entkoppelte unternehmensinterne Kommunalität (Economy of Scale) ermöglicht.
Die passende Marktarchitektur definiert ein Produktportfolio, das zu den Kundensegmenten passt. Sie ermöglicht es so zu verstehen, welche Produkt- und daraus resultierend Modul-Variantenvielfalt benötigt werden; und warum diese benötigt werden. Sinnvollerweise wird die Marktarchitektur entwickelt, bevor die technische Umsetzung des modularen Baukastens angegangen wird. So kann der Kundennutzen von Anfang an nachvollziehbar in der Modulstruktur verankert werden und jede Produktvarianz und technische Varianz lässt sich klar der Erfüllung verschiedener Kundennutzen zuordnen.
Um Ihnen einen einfachen Einstieg in die Produktplanung anhand von Kundennutzen zu ermöglichen, bieten wir Ihnen hier eine Vorlage für das in diesem Artikel beschriebene Customer Canvas zum Download an:
Autor
Scott Jiran