Sie haben sich entschieden einen modularen Baukasten zu entwickeln, oder Ihr Baukastensystem ist bereits fertig? Dann haben Sie den ersten Schritt erfolgreich gemeistert. Aber wie stellen Sie sicher, dass Ihre Organisation auch in Zukunft modulare Produkte entwickelt und die bereits entwickelte modulare Produktarchitektur am Leben bleibt? Schließlich wollen Sie langfristig von den Benefits profitieren.
In diesem Blog zeigen wir Ihnen an einem Beispiel den Zielkonflikt zwischen der herkömmlichen und der modularen Produktentwicklung auf und erklären, wie das Prinzip der Baugruppenverantwortung helfen kann, diesen Konflikt zu überwinden.
Wäre ein modularer Baukasten eine Medizin, die Sie Ihrem Unternehmen verordnet haben, würden Sie auf dem Beipackzettel Folgendes lesen: Risiken und Nebenwirkungen der modularen Produktentwicklung sind der Einfluss der modularen Produktentwicklung auf die (Entwicklungs-) Organisation.
Doch was bedeutet das genau? Der Einfluss auf die Organisation und die sich daraus ergebende Notwendigkeit einer Anpassung resultiert aus den wesentlichen Unterschieden zwischen der modularen Produktentwicklung und der klassischen Entwicklung. Denn diese Unterschiede erfordern eine entsprechende Anpassung Ihrer Entwicklungsorganisation.
Findet keine Anpassung statt, besteht ein erhebliches Risiko, dass ein mit viel Aufwand entwickeltes Baukastensystem nicht am Leben gehalten wird. Als Konsequenz stellen sich die erwarteten Benefits nicht ein oder fallen nur gering aus.
Leider gibt es keine Blaupause für die EINE, richtige Struktur Ihrer Organisation bzw. Produktentwicklung. Die Gründe hierfür liegen in der Individualität der Organisation, ihrer Historie und Ihrer Verhaltens- und Wertekultur.
Allerdings gibt es Prinzipien, die sich im Rahmen der Modularisierung vielfach in anderen Organisationen bewährt haben. Ein solches Prinzip ist die Baugruppenverantwortung.
Historisch wird ohne Modularisierung im Maschinen- und Anlagenbau eine Produktvariante nach der anderen entwickelt. Hier findet die Entwicklung häufig in ‚Produktsilos‘ statt. Die Verantwortung für die Produktvariante obliegt einem Projektleiter. Die Verantwortung für die technische Entwicklung der benötigten Komponenten wiederum obliegt der Entwicklungsleitung für dieses Projekt. Entsprechend der Vorgaben von Kosten, Qualität, Zeit und geforderter Leistung werden die Komponenten unter ihrer Leitung umgesetzt und entwickelt.
Diese Vorgehensweise erfolgt im Zeitverlauf; die Wiederverwendung von Komponenten bleibt dabei reaktiv. Vielleicht haben Sie bereits von dem Copy-und-Paste-Verfahren gehört, welches Unternehmen häufig für diese Vorgehensweise verwenden. Wenn Komponenten wiederverwendet werden können, wird dies gemacht. Allerdings ist die Blickrichtung immer auf die Vergangenheit gerichtet. In der Praxis ist eine 100-prozentige Übernahme von Komponenten eher selten der Fall. Was nicht verwundert: Zusätzlicher Anforderungen für die Wiederverwendung in mehreren Porduktvarianten werden nur dann berücksichtigt, wenn diese von Anfang an gefordert sind.
Auch der organisatorische Einfluss lässt sich leicht nachvollziehen. Wieso sollte ein Projekt- bzw. Entwicklungsleiter seine Komponenten aufgrund zusätzlicher Leistungsanforderungen auslegen? Denn dies hätte negative Auswirkungen auf die Zielvorgaben hinsichtlich Kosten, Qualität und Zeit.
Nun gibt es eine Modularisierungsstrategie und einen entsprechenden modularen Baukasten, der gemeinsam mit einem cross-funktionalen Team auf Basis von Anforderungen für ein neues Produktportfolio entwickelt wurde. Leider stehen diese im Konflikt zu der aktuellen Struktur und den Zielvorgaben bzw. den Verantwortungen und Rollen der derzeitigen Organisation.
Die übergeordnete Modulstrategie mit dem Ziel der Wiederverwendung von Baugruppen konkurriert mit den individuellen Zielen der einzelnen Projekte. Wer ist verantwortlich für die Designs und deren Wiederverwendung in verschiedenen Produkten und Projekten, wenn die Organisation diese Aspekte der Baukastenstrategie aufgrund fehlender Rollen nicht berücksichtigen kann?
In der Praxis heißt das ‚Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‘: Das Produkt, welches zeitlich gesehen zuerst da ist, gibt also die Anforderungen vor, auf deren Grundlage entwickelt wird. Als Konsequenz gibt es keine Wiederverwendung und die Benefits einer Modulstrategie kommen nicht zum Tragen.
Desweiteren muss im Rahmen der Organisation für die Modularisierung sichergestellt werden, dass die entwickelten Bauteile auch in zukünftigen Produkten wiederverwendet werden können. Allerdings gibt es die zukünftigen Projekt- bzw. Entwicklungsleiter heute noch nicht. Wer stellt also sicher, dass auch deren Anforderungen im Rahmen der Entwicklung bereits heute im Baukasten berücksichtigt werden?
Wechselbeziehungen zwischen der technischen Konzeption eines Produktes und der Gestaltung der Entwicklungsorganisation liegen darin begründet, dass jede technische Schnittstelle zwischen zwei Komponenten, für die unterschiedliche, organisatorische Einheiten zuständig sind, organisatorischen Koordinationsbedarf erzeugt. Um diesen Koordinationsbedarf im Sinne einer effizienten Entwicklung möglichst gering zu halten, sind daher Baugruppenstruktur und Projektorganisation aufeinander abzustimmen.
Dann können Baugruppenverantwortlicheim Fall von unabhängigen, entkoppelten Modulen entsprechende Aufgabenumfänge selbstständig bearbeiten.
Dort, wo die technischen Rahmenbedingungen eine funktionale Gestaltung vorgegeben haben, um kritische Anforderungen erfüllen zu können, muss eine entsprechend integrierte Organisationseinheit die Entwicklung übernehmen.
Der Modulschnitt bildet die Grundlage für die Entscheidung, welcher Umfang an Komponenten zu Modulen zusammengefasst wird und stellt so die Basis für die Zuteilung der Baugruppenverantwortung auf Komponentenebene dar.
Das grundlegende Prinzip der Baugruppenverantwortung bedeutet, dass die Verantwortung für die Entwicklung spezifischer Baugruppen von der vertikalen ‚Silo-Rolle‘ des Projekt- und Entwicklungsleiters auf eine horizontale Rolle auf Baugruppenebene übergeht.
Diese Verschiebung der Verantwortung geht auch mit den Zielen einer Modulstrategie einher. Im Rahmen der Baukastenentwicklung kann es nur eine übergeordnete Strategie für alle Produktvarianten geben. Diese stellt die Grundlage und Richtlinie dar, auf derer die Baugruppenverantwortlichen die benötigten Komponenten und Varianten entwickeln.
Eine Konsequenz der übergeordneten Modulstrategie ist die Rolle der Entwicklungsverantwortung für eine Baugruppe über alle Produktvarianten hinweg. Die Ergebnisse der Portfolioanalyse sind übrigens eine Grundlage für den Baugruppenverantwortlichen, wenn es um das Variantenmanagement für seine Baugruppe geht.
Neben der Rolle des Baugruppenverantwortlichen gilt es ein Konzept für andere Aufgaben und Rollen zu identifizieren, die im Rahmen einer modularen Produktentwicklung benötigt werden. Hierzu zählen u.a. die integrierende Funktion über alle Baugruppenverantwortlichen:
Neben der Rolle des Baugruppenverantwortlichen gilt es ein Konzept für andere im Rahmen einer modularen Produktentwicklung nötige Aufgaben und Rollen zu identifizieren. Hierzu zählt unter anderem die integrierende Funktion über alle Baugruppenverantwortlichen.
Sie koordiniert Baugruppenverantwortliche mit dem Fokus Gesamtsystem und unterstützt die Baugruppenverantwortlichen für die modulare Produktentwicklung methodisch. Da sich dank der Modularisierung die Effizienz steigert, werden freie Ressourcen für solche neuen Aufgabenfelder geschaffen.
Die neu zu schaffende Rolle der Baugruppenverantwortlichen übernimmt die technische Verantwortung der entsprechenden Baugruppen und bündelt sowie koordiniert die Anforderungen zum Beispiel aus der Serie und anderen Disziplinen.
In der Praxis ergeben sich weitere Möglichkeiten und Ziele:
Wenn Sie Baugruppenverantwortliche implementieren, stehen Sie vor zahlreichen Herausforderungen:
Projektorientierte Organisation
Die heutige Denkweise in Entwicklungsorganisationen ist häufig projektorientiert. Das heißt. es wird retrospektiv geschaut, welche Maschinentypen als Basis für eine neue Maschine existieren. In der Zukunft sollte eine vorausschauende Denkweise und Vorgehensweise auf Baugruppen- und NICHT auf Maschinenebene etabliert werden.
Verantwortung wandert
Die Schaffung von zentraler Verantwortung auf Baugruppenebene hat Einfluss auf die heutige Verantwortung von anderen Bereichen in der Entwicklung und darüber hinaus (Serie, Auftragskonstruktion, etc.).
Neue Rollen und Schnittstellen zu anderen Bereichen
Neue Vorgehensweisen können neue Definitionen von Rollen erfordern und das heutige Rollenmodell in der Entwicklungsabteilung verändern. Außerhalb der Entwicklung gilt es, betroffene Bereiche zu identifizieren und wenn nötig in die neue Vorgehensweise zu integrieren.
Zuordnung von Komponenten zu Modulen und Baugruppenverantwortlichen
In der heutigen Zeit handelt es sich bei Maschinen und Anlagen um ein komplexes Gesamtprodukt mit einer hohen Zahl an technischen Komponenten, Software und Interaktionen zwischen diesen. Die Herausforderung besteht unter anderem in der Entscheidung darüber, für welche Komponenten eine Verantwortung auf Baugruppenebene sinnvoll ist. Grundlage dafür ist ein sauber durchgeführter Modulschnitt.
Verfügbarkeit von Ressourcen und Experten für die Organisationstransformation
Vertreter aus den betroffenen Bereichen müssen bei der Umwandlung der Organisation mitwirken, damit die Ziele und Anforderungen der Entwicklung als Ganzes an eine optimierte Entwicklungsorganisation erfüllt werden. Hierzu müssen die Anforderungen und Ziele der beteiligten Bereiche frühzeitig in das Projekt einfließen sowie Ressourcen für eine Beteiligung an dem Projekt zur Verfügung stehen.
Die Implementierung eines modularen Baukastens mit einer entsprechenden Modulstrategie ist eine anspruchsvolle Herausforderung, die nicht von heute auf morgen erfolgen kann. Die Rolle des Baugruppenverantwortlichen dient dabei als ein wesentlicher Eckpfeiler, um Modularisierung in Ihrer Organisation zu verankern. Einer der Kernaspekte liegt in dem Charakter einer Modulstrategie: Sie wird immer übergreifend für mindestens eine Produktfamilie definiert. Deshalb sollte auch die Verantwortung für Baugruppen auf Ebene dieser gesamten Produktfamilie liegen.
Neben den Vorteilen, die ein Baugruppenverantwortlicher für die Implementierung einer modularen Vorgehensweise mit sich bringt, gibt es weitere Vorteile in Form von Effizienzgewinnen an den Schnittstellen innerhalb und außerhalb der Entwicklungsabteilung.