Was wollen Ihre Kunden wirklich? Die Antwort auf diese Frage fällt ganz unterschiedlich aus – je nachdem, wen man in Ihrem Unternehmen fragt. Produktmanagement, Entwicklung, Verkauf und Marketing – jeder Bereich hat seine eigene Sichtweise.
Diese Diskussion darüber, was die Kunden wirklich wollen findet hierbei häufig anhand von Spezifikationen statt, die stellvertretend für den Kundenbedarf sind. Auf Basis dieser Spezifikationen werden Lösungen für die Kunden erstellt. Doch auch Portfolios mit fertigen Produktvorschlägen oder konfigurierbaren Produkten gehen oft auf Kundenspezifikationen aus der Vergangenheit zurück. Denn der Blick richtet sich nicht auf den tatsächlichen Bedarf. Am praktischen Beispiel erklärt: Der Kunde, der einen besseren Handfeger fordert, bekommt einen Handfeger verkauft. Der Bedarf des Kunden ist aber kein Handfeger, sondern Sauberkeit im häuslichen Bereich. Erst diese Erkenntnis macht es möglich, neue innovative Produkte zu entwickeln, die diesen Bedarf besser erfüllen.
Um zu einer einheitlichen Definition des Kundenbedarfs zu kommen, braucht es eine systematische und nachvollziehbare Segmentierung des Marktes. Diese jedoch fehlt noch immer in vielen Unternehmen, besonders im mittelständischen B2B-Bereich, etwa im Maschinenbau. Dabei ist eine strukturierte Sicht auf den eigenen Markt die Basis für strategische Produktentscheidungen. Im Mittelpunkt stehen diese Fragen: In welchen Segmenten treten Sie in Konkurrenz mit Ihren Mitbewerbern? Wie lassen sich die Segmente gewinnen? Welche Produkte sollen angeboten werden?
Für die erfolgreiche Umsetzung eines modularen Baukastens ist eine strukturierte Sicht auf den Markt besonders wichtig. Mit der Kenntnis von Kundenbedarf und Marktsegmenten lassen sich die verschiedenen Produktvarianten der modularen Produktfamilie entsprechend definieren.
Modularisierung ist eine Herausforderung, die mit einem großen initialen Aufwand in der Entwicklung einhergeht („Frontloading“, siehe Grafik). Umso wichtiger ist, dass ein modularer Baukasten die Bedürfnisse der Kunden zielgenau bedient. Nur so kann dieser langfristig erfolgreich sein. Kundennutzen und Unternehmensstrategie sind deshalb von Anfang an in der modularen Produktarchitektur verankert.
Ein modulares, konfigurierbares Produktsortiment beginnt mit der Marktsegmentierung nach Kundenbedarf. In diesem Blogartikel zeigen wir Ihnen, was kundenbedarfsgerechte Marktsegmente sind und wie diese erarbeitet werden können.
Die Definition von Marksegmenten auf Basis des Kundenbedarfs ist als Teil einer übergeordneten Marktarchitektur zu sehen. Das Ziel besteht darin, ein zukunftsfestes Produktportfolio zu bestimmen, bei dem für die einzelnen Produktvarianten klar definiert ist, wie die Produkteigenschaften den Kundenbedarf erfüllen.
Im Rahmen dieses Artikels werden die Themen Kundennutzen und Marktsegmentierung noch ausführlich erläutert. Hier zunächst ein kurzer Überblick über alle Themenbereiche:
Leseempfehlung: Wollen Sie mehr darüber erfahren, wie Sie ein Zukunftsprotfolio systematisch entwerfen können? Lesen Sie hierzu in unserem Artikel, wie Sie ein Portfolio entwerfen können, das Ihre Kunden begeistert.
Es gibt in Produktmanagement und Marketing verschiedene Ansätze, um eine Marktsegmentierung vorzunehmen. Traditionell werden Segmente nach demografischen, geografischen oder sozio-ökonomischen Merkmalen unterschieden. Die Schwäche einer solchen Marktsegmentierung besteht darin, dass Kunden des gleichen Segments ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben können.
Zum Verständnis stellen wir uns vor: Wir haben zwei Kundinnen – Stefanie und Sabine. Beide studieren, sind zwischen 20 und 25 Jahre alt und leben in einer Großstadt. Bei der klassischen Marktsegmentierung fallen diese beiden Kundinnen in das gleiche Segment. Nun hat Sabine Haustiere, ist gleichzeitig sehr reinlich und empfängt gerne Gäste. Stefanie hingegen verbringt einen Großteil der Woche bei ihrem Freund, kocht selten zuhause und hat deshalb einen geringen Reinigungsbedarf. Kurzum: Stefanie und Sabine haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse.
Die bedürfnisorientierte Segmentierung orientiert sich am ureigenen Ziel des Marktes – der Befriedigung von Wünschen und Bedürfnissen durch wirtschaftliche Austauschprozesse. Markt- oder Kundensegmente werden auf Basis des Kundenbedarfs definiert. Kunden, die ähnliche Präferenzen in Bezug auf den Produktnutzen haben, sind im selben Segment zusammengefasst. Kundentypen wiederum werden anhand von Charaktereigenschaften, sogenannten Traits, beschrieben. Wie in der Grafik dargestellt, wird das Nutzenversprechen eines Produkts einem Kundensegment zugeordnet – Wünsche und Leiden treffen auf die passende Wunscherfüllung und Leidensverringerung.
Eine Outside-in-Verbindung wird geschaffen, die den Kundenbedarf mit einer Produktspezifikationen verknüpft. So gelingt es, die Produkte eines modularen, konfigurierbaren Portfolios so zu planen, dass sie erfolgreiche Nutzenversprechen stärken und neue Nutzenversprechen für neue Kundensegmente ermöglichen. Auf diese Weise wird auch der Einfluss neuer Technologien und Entwicklungen auf die Marktposition des Unternehmens nachvollziehbar.
Die Definition kundenbedarfsgerechter Marktsegmente erfolgt in fünf Schritten, die wir hier an einem einfachen Beispielprodukt beschreiben wollen.
Der Customer Experience Cycle beschreibt sämtliche Phasen, in denen der Kunde das Produkt erlebt – also nicht nur die Nutzung, sondern auch Planung der Anschaffung, Kauf, Installation, dann die tatsächliche Nutzung, kontinuierliche Kontrolle und Regulierung der Nutzung, Wartung und Reparatur sowie schließlich Entsorgung und Ersatz des Produkts.
In den einzelnen Phasen werden nun die Erfahrungen mit dem Produkt analysiert. Das umfasst die Aufgaben, die der Kunde mit dem Produkt ausführt, ebenso wie die erwarteten Ergebnisse. Für ein einfaches Produkt, wie den Handstaubsauger aus unserem Beispiel, lassen sich in ausgewählten Phasen folgende Aufgaben und Ergebnisse identifizieren:
Bei der Nutzung ist die zentrale Aufgabe das Saugen von Schmutz, das erwartete Ergebnis wiederum umfasst eine gute Reinigung, einfache Nutzbarkeit und das Filtern von Staub und Pollen. In der Phase Wartung und Reparatur besteht die Aufgabe darin, den Schmutzbehälter des Geräts zu säubern. Das gewünschte Ergebnis ist eine einfache Säuberung. Auch bei der Kaufentscheidung für ein Produkt erwartet der Kunde gewisse Ergebnisse – nämlich ein Produkt, das seine Ansprüche an Aussehen, Funktionalität und Preis erfüllt.
Bei komplexeren Produkten im B2B-Bereich fallen die betrachteten Phasen, Aufgaben und Ergebnisse umfangreicher aus. Wir präsentieren Ihnen ein ausführliches Beispiel aus dem Anlagenbau in unserem Download-Guide zur Marktsegmentierung.
Aus den Aufgaben und den gewünschten Ergebnissen bei der Produkterfahrungen lässt sich der übergeordnete Kundennutzen ableiten. Während der Kundenbedarf zunächst beschreibt, warum der Kunde ein Produkt benötigt, ist der Kundennutzen die Summe aller Nutzen im Rahmen der Produkterfahrungen. Dieser Nutzen lässt sich in einem weiteren Schritt noch ausdifferenzieren in Kundenwerte, die dann später mit den Produkteigenschaften verknüpft werden können.
Für unser Beispiel des Handstaubsaugers wird aus den Aufgaben und Ergebnissen, die im Customer Experience Cycle identifiziert wurden, eine Liste von übergeordneten Kundennutzen abgeleitet.
Die Grundlage für eine Segmentierung von Kunden sind ihre typischen Eigenschaften. Hierbei handelt es sich um empirisch beobachtbare Eigenschaften, die sich einfach messen oder bewerten lassen. Bestimmt man nun die jeweilige Ausprägung der Eigenschaften, entsteht das Bild eines Kundentyps.
In unserem Beispiel Handstaubsauger lassen sich die Kunden anhand folgender Eigenschaften beschreiben:
In diesem Schritt geht es darum, die verschiedenen Kundennutzen mit den Eigenschaften der Kunden zu verknüpfen. Jeder Kundennutzen wird dahingehend bewertet, wie wichtig er für Kunden ist, die dieselben Ausprägungen von Eigenschaften haben. Wie wichtig ist beispielsweise der Kundennutzen „reinigt gut“ für Kunden mit Haustieren im Vergleich zu Kunden ohne Haustiere?
Die folgende Illustration verdeutlicht die Bewertung eines Kundennutzens auf einer Skala von unwichtig bis sehr wichtig.
Sind alle Kundennutzen für alle Eigenschaften und deren Ausprägung bewertet, ergibt sich ein Profil, das die unterschiedlichen Kundennutzen gewichtet.
Im finalen Schritt – der Marktsegmentierung – werden Kunden nach Ausprägung ihrer Eigenschaften und Ähnlichkeit ihrer Präferenzprofile identifiziert und gruppiert.
So zeigt sich im Beispiel, dass Kunden, die mehr Zeit zum Putzen haben, und solche, die wenig Verschmutzungen im Haushalt haben, ein ähnliches Präferenzprofil aufweisen. In der Praxis unterstützen Tools zur Clusteranalyse bei der Gruppierung. Solche Tools identifizieren mithilfe mathematischer Algorithmen verschiedene Stufen von Clusterung auf Basis der Präferenzprofile. Die Grafik zeigt das Ergebnis einer solchen Clusterung für unser Beispielprodukt.
Auf Basis dieser Cluster werden dann die Marktsegmente definiert. Das Ergebnis des Clustering-Algorithmus bietet hierfür jedoch lediglich die Vorlage. Die finale Definition der Segmente erfolgt manuell. In einem weiteren Schritt können schließlich noch die Marktsegmente mit Kunden-Personas veranschaulicht werden.
Als Ergebnis der kundenbedarfsgerechten Marktsegmentierung liegen nun Marktsegmente vor, die anhand von Kundenprofilen mit Nutzenpräferenzen beschrieben sind. Diesen Kundennutzen gilt es nun im Produkt zu verankern. Hierzu werden die zuvor abstrahierten Kundennutzen als sogenannte Kundenwerte ausdifferenziert. Wenn der Kundennutzen das ist, was der Kunde sich wünscht, so sind die korrelierten Kundenwerte all jene Dinge, die das Produkt tun oder können sollte. Hiermit nähern wir uns in der Formulierung wieder den ursprünglich identifizierten gewünschten Ergebnissen an ( siehe 1. Identifikation von Aufgaben und Ergebnissen im Customer Experience Cycle). Die folgende Grafik zeigt die Beziehungen zwischen Kundenwerten und Kundennutzen.
Da die Kundenwerte ausdrücken, welche Dinge das Produkt tun soll, können wir diese nun mit konkreten Produkteigenschaften verknüpfen. Dies geschieht in einer QFD-Matrix (Quality Function Deployment). Die QFD-Matrix macht den Beitrag der Produkteigenschaften zur Erfüllung von Kundenwerten sichtbar. Produkteigenschaften sind messbare und beeinflussbare Merkmale, die das Produkt möglichst lösungsneutral beschreiben. Bei unserem Handstaubsauger können das etwa das Material des Gehäuses oder die Kapazität des Staubbehälters sein.
Wie Produkteigenschaften systematisch definiert werden und sich dann in der QFD-Matrix mit den Kundenwerten verknüpfen lassen, geht über das Thema dieses Artikels hinaus. Wir werden hierzu als Teil der Serie zur Marktarchitektur einen eigenen Beitrag veröffentlichen.
Wichtig ist an dieser Stelle, dass der Kundenbedarf durch die Verknüpfung von Kundenwerten und Produkteigenschaften in alle weiterführenden Aktivitäten der Entwicklung, der Verwaltung und der Optimierung eines modularen Baukastens eingebunden ist. Wie die folgende Grafik des MFD-Prozesses (Modular Function Deployment) zeigt, werden die Kundennutzen aus dem Bereich „Markt & Kundenbedürfnisse“ mit den Aktivitäten im Bereich „Technologie“ vernetzt und dann im Bereich „Definition des Modulsystems“ in der modularen Produktarchitektur verankert.
So lässt sich bei jeder Entscheidung im Hinblick auf das Modulsystem genau nachvollziehen, welchen Einfluss diese auf die Erfüllung von Kundenwerten hat.
Leseempfehlung: Sie interessieren sich dafür, wie Sie die modulare Produktarchitektur als Basis Ihres modularen Baukastens definieren? In unserem Artikel stellen wir Ihnen 3 Methoden zur Entwicklung der modularen Struktur vor.
Für die Entwicklung eines modularen Baukastens ist die Definition einer zugehörigen Produktstrategie entscheidend. Die Voraussetzung für eine solche Produktstrategie ist, den Kundenbedarf zu kennen sowie entsprechende Kundensegmente zu bestimmen.
Mit einem systematischen Blick auf Kundenbedarfe und Marktstruktur gelingt es, die Frage „Was wollen unsere Kunden?“ klar und einheitlich zu beantworten. An die Stelle unterschiedlicher Meinungen und Auffassungen über Kundenwünsche treten nachvollziehbare Marktsegmente, die mit Kundennutzen und Produkteigenschaften verknüpft sind.
Der Kundennutzen ist somit von Beginn einer Modularisierung an in der modularen Produktarchitektur verankert. Im Ergebnis bedient der modulare Baukasten die Bedürfnisse der Kunden zielgenau. Außerdem lassen sich die verschiedenen Produktvarianten einer modularen Produktfamilie den einzelnen Marktsegmenten eindeutig zuordnen. Eine bedarfsorientierte Marktsegmentierung ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für einen profitablen Baukasten.
Mit unserem weiterführenden Step-by-Step-Guide haben Sie die Möglichkeit, die einzelnen Schritte auf dem Weg der Marktsegmentierung detailliert an einem Beispiel aus dem Anlagenbau nachzuvollziehen:
Senior Consultant
ingo.bogemann@modularmanagement.com
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