Produktstrukturen für eine digitale Zukunft
„Smarte Produkte erfordern ein Umdenken.“ Unter diesem Titel beschreibt Siemens in der gleichnamigen Studie die Zukunftsanforderungen an die Strukturierung von Produkten und das Management dieser Produktstruktur. Diese Anforderungen werden zum einen dadurch getrieben, dass der Produktentstehungs- und Produktionsprozess durchgängig digitalisiert wird. Hinzu kommt, dass in den Produkten selbst Elektronik und Software immer stärker implementiert werden.
Um bei immer kleineren Losgrößen und kürzeren Produktlebenszyklen wirtschaftlich erfolgreich zu entwickeln und zu produzieren, muss die Architektur zukünftiger Produkte modular sein. Und diese modulare Produktarchitektur muss natürlich in der Produktstruktur implementiert sein.
Das ist keine Neuigkeit: Bereits 2014 benannte der VDMA in seiner Studie „Zukunftsperspektive Maschinenbau“ eine verstärkte Modularisierung und Standardisierung als einen der wichtigsten Trends für den deutschen Maschinenbau.
Was macht eigentlich die Produktstruktur aus?
Doch was ist diese Produktstruktur eigentlich? Die Produktstruktur erlaubt es, alle produktbezogenen Daten strukturiert zu verwalten.
Wie in dem Bild schematisch dargestellt, liefert die Produktstruktur die Dekomposition des Produktes. Die Elemente der Produktstruktur verwalten Daten wie Zeichnungen, Stücklisten, Reports, etc.
Ihre ursprüngliche Form ist die Stückliste, wie sie auf den Baugruppenzeichnungen der Konstrukteure zu finden ist. Mit dem Wandel in den 80er Jahren hin zu CAD-Systemen entstand in diesen dann eine strukturierte Stückliste des ganzen Produktes aus Sicht des Entwicklers.
Mit der Einführung von ERP-Systemen kam eine parallele, strukturierte Stückliste, häufig Bill of Material (BoM) genannt, hinzu. Diese dient dazu, die Dispositionsprozesse für Einkauf, Logistik, Produktion und Montage zu unterstützen.
Neben den physischen, strukturierten Stücklisten stehen noch weitere Strukturen, zum Beispiel der Anforderungen und der Funktionen. Sie werden im Rahmen des Model Based System Engineering (MBSE) mit den physischen Strukturen vernetzt. Eine solche interdisziplinäre, netzwerkartige Struktur ist insbesondere für zunehmend mecha- und cybertronischen Produkte mit umfangreichen Softwareanteilen notwendig.
Leseempfehlung: Der Softwareanteil nimmt auch im klassischen Maschinenbau immer weiter zu. Lesen Sie hier wie die Modularisierung von mecha- und cybertronischen Produkten im Maschinenbau gelingen kann.
Derartige interdisziplinäre Produktstrukturen bereitzustellen und über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg zu verwalten, ist Aufgabe des Product Lifecycle Managements (PLM).
Einheitliche Strukturen sind selten Realität
Eine durchgängige Produktstruktur als Rückgrat eines unternehmensweiten gemeinsamen Produktmodells ist aber in den wenigsten Unternehmen Realität. Häufig gibt es eine Vielzahl von Brüchen der Produktstrukturen zwischen den Disziplinen und innerhalb der Disziplinen.
Das kann sich derart gestalten: Die Anforderungen an das Produkt werden in einer Anforderungsstruktur gruppiert. In der frühen Phase der Produktentwicklung wird eine Funktionsstruktur entworfen. Bei der konstruktiven Umsetzung werden verschiedene CAD-Strukturen erzeugt. Und im Produktionsprozess werden Produktions- und Montagestücklisten verwendet.
Innerhalb dieser Disziplinen gibt es wiederum verschiedene Strukturen. Werden im Bereich Entwicklung neue Maschinenvarianten im Copy-Paste-Verfahren entwickelt, entstehen eine Vielzahl von Produktstruktur-Variationen. So kann sich dann eine identische technische Lösung unter anderem Namen in verschiedenen Bereichen der Produktstruktur wiederfinden.
Ein Schritt nach dem Anderen
Das Ziel ist ein digitales Produktmodell, welches alle Unternehmensbereiche durchgängig nutzen. Es soll die Produktentstehung und die Produktproduktion integrieren.
Getrieben von dieser Zielvorstellung ist es verlockend, direkt nach dem passenden Product Lifecycle Management (PLM)-Tool für ein solches digitales Produktmodell zu suchen. Damit würden Sie jedoch den letzten Schritt vor dem ersten machen. Das zentrale Nervensystem eines PLM ist eine durchgängige, interdisziplinäre und integrierte, digitale Produktstruktur. Bei den wenigsten Unternehmen ist jedoch – wie zuvor beschrieben – eine solche Produktstruktur verfügbar. Bevor sie also in einem PLM-System umgesetzt werden kann, müssen Sie diese Struktur zunächst erarbeiten.
Aus Sicht der verschiedenen Disziplinen und für die verschiedenen Produktvarianten gibt es meist verschiedene, existierende Produktstrukturen. Daher bedarf es eines methodischen Vorgehens, um eine durchgängige, gemeinsame Produktstruktur zu erstellen. Die Modularisierung liefert eine Strukturierung in Form von Modulen – die Definition der Module richtet sich hierbei nach den Unternehmenszielen und den Bedürfnissen der verschiedenen Disziplinen.
Das Produkt in Form eines modularen Baukastens zu strukturieren, ist also der logische erste Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen und durchgängigen Produktmodell.
Wie die Grafik zeigt, ermöglicht es eine vorhergehende systematische Modularisierung, Komplexität zu vermeiden. In den folgenden Schritten, insbesondere in der finalen Implementierung in den passenden IT-Tools, wird dann nur noch Komplexität verwaltet. Je besser es gelingt, früh Komplexität zu vermeiden, desto leichter fallen die folgenden Schritte.
Modularisieren heißt strukturieren
Der Kern eines modularen Baukastens ist die Zerlegung des Produkts in Module – also die Strukturierung des Produkts in Modulen. Häufiges Ziel dabei ist, den Standardisierungsgrad durch wiederverwendbare Module zu erhöhen.
Neben einer verbesserten Wiederverwendung muss die modulare Produktarchitektur so gestaltet sein, dass sie die strategischen Ziele des Unternehmens unterstützt. Dies gilt insbesondere für mecha- und cybertronische Produkte mit einer hohen Frequenz von Änderungen und Updates.
Nur durch die Gruppierung in möglichst entkoppelten Modulen stellen Sie eine effiziente und flexible Entwicklung sowie schnelle Updates mit neuen Funktionalitäten sicher.
Die Gliederung in Module liefert so die Basis für eine durchgängige Produktstruktur. Diese Basis muss natürlich derart gestaltet sein, dass sie kompatibel mit den Anforderungen von zum Beispiel Einkauf und Produktion ist.
Leseempfehlung: Die Produktstruktur spiegelt die modulare Produktarchitektur wieder. Lesen Sie hier wie Sie methodische Module definieren.
Modularisieren heißt strukturieren
Einen modularen Baukastens zu entwickeln, liefert die Strukturierungsvorlage für eine durchgängige Produktstruktur als zentrales Element eines PLM. Gleichzeitig ist der Erfolg eines modularen Baukastens davon abhängig, dass die definierten Module in einer durchgängigen Produktstruktur verankert werden.
Zur Standardisierung gehört nicht nur eine vereinheitlichte technische Lösung sondern auch vereinheitlichte Stammdaten, die an der immer gleichen Stelle der Produktstruktur eingesetzt werden.
So mag es beispielsweise gelingen, einen Mikrocontroller zu standardisieren. Ist dieser jedoch in der Produktstruktur mit einem immer varianten Kabelbaum zusammengefasst, lässt sich in großen Teilen des Produktentstehungs- und Produktionsprozesses von dieser Standardisierung nicht profitieren.
Die vereinheitlichte, generische Produktstruktur ist gewissermaßen die DNA des modularen Baukastens. Bei der Entwicklung einer neuen Produktvariante wird auf dieser Struktur aufgesetzt. Auf die Art stellen Sie sicher, dass sich die neue Variante in das Gesamtkonzept des modularen Baukastens einfügt.
Durchgängige und modulare Produktstrukturen – ein Muss für die Industrie 4.0
Um erfolgreich zunehmend komplexe mechatronische und cybertronische Produkte zu entwickeln, sind digitale Produktmodelle auf Basis durchgängiger Produktstrukturen unumgänglich.
Die Entwicklung in Form von modularen Baukästen ist die Konsequenz aus immer kleineren Losgrößen und kürzeren Produktlebenszyklen.
Die Modularisierung bietet so ein Strukturierungsprinzip als Basis für eine durchgängige Produktstruktur, während sie, um erfolgreich zu sein, ebenfalls auf ein durchgängiges PLM angewiesen ist.