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So finden Sie die richtige Anzahl an Varianten für Ihr modulares Baukastensystem

Von Tobias Martin

Kunden haben unterschiedliche Anforderungen an den Leistungsgrad eines Produkts, der davon abhängt, wie die Kunden das Produkt einsetzen wollen und worauf sie dabei Wert legen. Diese Anforderungen sowie die Zahlungsbereitschaft der Kunden veranlassen Unternehmen dazu, Produkte mit unterschiedlichen Leistungsniveaus und Preisen anzubieten. Die Anpassung von Produkten an verschiedene Kundenanforderungen mit unterschiedlichen Preis-(Kosten-)Niveaus führt in der Regel zu einer hohen Produktvielfalt, die im Unternehmen technische Variantenvielfalt und damit hohe Komplexitätskosten verursacht (s. Grafik). Als vereinfachte Näherung gehen wir von einem linearen Zusammenhang aus.

variantenanzahl_komplexitaetskosten

Mithilfe von Modularisierung können Unternehmen die direkte Relation zwischen Variantenvielfalt und Komplexitätskosten durchbrechen, indem die leistungsbestimmenden Eigenschaften eines Produkts in entsprechenden Modulen gruppiert werden. Auf diese Weise ist es möglich, die Anzahl der Varianten für diese Module zu optimieren, ohne dass gleichzeitig verschiedene Varianten für alle anderen Komponenten entwickelt werden müssen.

Das Problem, das sich hierbei jedoch stellt, ist die richtige Anzahl an Varianten für das modulare Baukastensystem zu finden, sodass Kundenwünsche bestmöglich abgedeckt und gleichzeitig die Kosten für Material und Komplexität in Summe minimiert werden. Aber wie können Unternehmen herausfinden, wie viele Modulvarianten sie wirklich brauchen, welche der eventuell bereits vorhandenen Varianten sie unbedingt behalten sollten und welche aus dem modularen Baukastensystem entfernt werden können?

In diesem Blog-Artikel stellen wir Ihnen einen mathematischen Ansatz vor, der Ihnen hilft, diese Fragen zu beantworten. Dazu werden wir uns in einem ersten Schritt im Detail anschauen, wie Sie die einzelnen Kosten berechnen, die im Zuge Ihres Variantenmanagements entstehen.

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Direkte Kosten + Komplexitätskosten = Gesamtkosten der Variantenvielfalt

Um festlegen zu können, welche Anzahl an Varianten das Unternehmen führen sollte, um möglichst kosteneffektiv zu arbeiten, ist es zunächst wichtig, genau zu verstehen, wie sich die Gesamtkosten im Variantenmanagement zusammensetzen. Hierbei gibt es zwei verschiedene Kostentreiber, die Unternehmen im Blick haben sollten. Zum einen die direkten Kosten und zum anderen die Komplexitätskosten. Die Gesamtkosten im Variantenmanagement sind daher als eine Kombination aus diesen beiden Kostenelementen zu verstehen.

Die direkten Kosten bilden einen wichtigen Kostenblock bei der Entwicklung und Herstellung von Produkten aller Art. Zu ihnen zählen Materialkosten, Fertigungslöhne, Energiekosten, Fremdbauteile und mehr. Die direkten Kosten stehen in direktem Zusammenhang mit der Variantenvielfalt im Unternehmen. Bei einem gegebenen Produktportfolio lassen sich die Kosten minimieren, indem jede technische Komponente so kostengünstig wie möglich gefertigt oder zugekauft wird. Dies führt natürlich dazu, dass eine Minimierung der direkten Kosten mit einem Anstieg der technischen Variantenvielfalt einhergeht, wie die folgende Grafik verdeutlicht.

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Nimmt man jetzt allerdings die Komplexitätskosten hinzu, verändert sich die Gesamtkostenkurve. Unter Komplexitätskosten fallen alle indirekten Kosten, die einem Unternehmen durch Variantenvielfalt und der daraus resultierenden Vielzahl der technischen Lösungen entstehen. Dazu gehören unter anderem Inventar- und Qualitätskosten. Da die Anzahl der Bauteile, Produkte und Zulieferer zu den wichtigsten Komplexitätstreibern im Unternehmen gehören, steigen die Komplexitätskosten mit zunehmender Variantenvielfalt.

Dieser Anstieg der Komplexitätskosten steht den direkten Materialkosten gegenüber. Es zeigt sich, dass es einen Punkt gibt, an dem der Anstieg der Komplexitätskosten die Einsparungen bei der Materialbeschaffung übersteigt, weshalb die Gesamtkostenkurve ab einer gewissen Variantenvielfalt wieder ansteigt. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht die Entwicklung von Material-, Komplexitäts- und Gesamtkosten mit zunehmender Variantenvielfalt.

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Leseempfehlung: Eine detaillierte Anleitung, wie Sie Ihre Komplexitätskosten berechnen, finden Sie in unserem separaten Blog-Artikel.

Komplexität reduzieren und Kosten sparen: Variantenreduktion vs. Überdimensionierung

Wie wir gesehen haben, ist der Einfluss der komplexitätsbedingten Kosten auf die Gesamtkosten bei steigender Variantenvielfalt größer als der Einfluss der direkten Kosten, weswegen hier die größten Einsparpotenziale liegen. Um die Komplexitätskosten senken zu können, muss durch effizientes Variantenmanagement die Komplexität im Produktportfolio reduziert werden. Hierzu stehen Unternehmen zwei verschiedene Ansätze zur Auswahl: Variantenreduktion oder Überdimensionierung.

Komplexitätskosten senken durch Reduzieren der Produktvarianten

Viele Unternehmen versuchen, die Komplexität ihres Produktsortiments durch eine Verringerung der Anzahl ihrer Produktvarianten zu senken. Bei der Variantenreduktion werden Produktvarianten mit geringem Volumen oder geringen Gewinnmargen (sogenannter “Long tail”) aus dem Produktportfolio entfernt, um die Gesamtzahl der über den Lebenszyklus zu pflegenden Varianten zu verringern. Das Problem dabei ist, dass sich eine Verkleinerung der Produktauswahl in vielen Fällen negativ auf das Geschäft auswirken kann. In einem kleineren Produktkatalog finden Kunden unter Umständen nicht mehr das für sie passende Produkt und sehen sich daher gezwungen, eine größere oder leistungsstärkere Produktvariante zu wählen, als sie eigentlich brauchen. Im schlechtesten Fall müssen sie dafür höhere Preise in Kauf nehmen. Wenn die Konkurrenz ein besser passendes Produkt im Angebot hat, werden die Kunden dort kaufen, was zu Umsatzeinbußen führt.

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Leseempfehlung: Produkte mit geringem Produktionsvolumen und Umsatz einfach aus dem Produktportfolio zu streichen führt häufig zu Umsatzrückgängen und ist daher keine wirkliche Lösung. Wie Sie statt Produktabkündigung und Standardisierung mit einem Baukastensystem Komplexität optimieren, lesen Sie hier.

Komplexitätskosten reduzieren durch Überdimensionierung auf Produktebene

Die zweite Möglichkeit, die Komplexitätskosten zu senken, stellt die sogenannte Überdimensionierung beziehungsweise Überspezifikation dar. Mittels Überdimensionierung kann die Vielfalt von technischen Komponenten reduziert werden, indem leistungsstärkere Komponenten auch in Produktvarianten mit geringerer Leistung verbaut werden. Dieser Ansatz kann so weit gehen, dass leistungsschwächere Produkte größtenteils baugleich sind und lediglich per Software in ihrer Leistung reduziert werden. Hierbei spricht man dann von Überdimensionierung auf Produktebene. Konkret bedeutet Überspezifikation, dass das Unternehmen die Kosten für die Variantenreduktion trägt, da leistungsstarke Produktvarianten zu geringeren Preisen verkauft werden, um die Variantenvielfalt zu reduzieren.

Vor allem in Unternehmen, in denen die Datentransparenz fehlt, um die Kosten der Komplexität bei Produktentscheidungen zu berücksichtigen, kann dies die Gewinnmarge der Produkte mit geringen Stückzahlen noch weiter nach unten drücken - was in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Variantenreduktion führt. Denn ohne die entsprechende Datengrundlage können Komplexitätskosten kaum berücksichtigt werden, sodass Produkte, die nicht auf direkte Kosten hin optimiert sind, besonders unrentabel erscheinen.

Komplexitätskosten reduzieren durch Überdimensionierung auf Modulebene

Mit einem modularen Baukastensystem können Entscheidungen hinsichtlich Überdimensionierung von der Produktebene auf die Modulebene verlegt werden. So ist es möglich, einzelne Module zu überdimensionieren, wenn der im Hinblick auf die Komplexität gewonnene Mehrwert (d.h. eine geringere Anzahl unterschiedlich benötigter Komponenten oder Modulvarianten) höher ausfällt als die durch die Überdimensionierung verursachten zusätzlichen direkten Kosten. Bei anderen Modulen, bei denen die Materialkosten zu hoch sind, kann eine andere Strategie gewählt werden, sodass eine größere Anzahl von jeweils kostenoptimierten Modulvarianten zugelassen wird.

Wird Überdimensionierung auf Modulebene betrieben, ist es möglich, die interne Komplexität durch eine Verringerung der Anzahl der internen technischen Varianten zu reduzieren, während jedoch gleichzeitig die für den Kunden verfügbare Produktvielfalt erhalten oder sogar erhöht wird. Die in mehreren Produktausführungen verwendeten Komponenten und Systeme müssen dabei eine Spezifikation haben, die die Anforderungen aller Produktvarianten, in denen sie verwendet werden, erfüllt.

Da eine Überdimensionierung bestimmter Module auch mit höheren direkten Kosten einhergeht (leistungsstärkere Varianten sind häufig teurer in der Produktion), müssen Unternehmen in ihrem Variantenmanagement genau abwägen, bei welcher Variantenvielfalt die Einsparungen bei den Komplexitätskosten die höheren Materialkosten der Überdimensionierung rechtfertigen. Um diese optimierte Variantenvielfalt zu ermitteln, bedarf es einer mathematischen Modellierung, die wir Ihnen im Folgenden vorstellen werden.

Leseempfehlung: Modulare Baukastensysteme schaffen im Unternehmen finanziellen Mehrwert, da sie es ermöglichen, die Komplexität im Produktportfolio gezielt zu optimieren. Wie sich der Wert eines modularen Systems konkret in Euro und Cent quantifizieren lässt, lesen Sie in unserem Blog-Artikel “Von Komplexität zu Profitabilität – Der Wert eines Baukastensystems”.

Mathematische Modellierung der optimalen Variantenvielfalt im modularen Baukastensystem

Produkte mit geringem Volumen sind in der Regel besser für eine Überdimensionierung auf Modulebene geeignet, während Produkte mit höherem Volumen häufiger optimierte Modulvarianten rechtfertigen. Mathematisch belegen lässt sich dies durch den Zusammenhang zwischen Komplexitätskosten, direkten Kosten und Nachfrage. Die drei Elemente Nachfrage, direkte Kosten und Komplexitätskosten sind dabei als Unterfunktionen zu verstehen:

  • Die Nachfrage in Abhängigkeit von der Produktvariante oder Produktleistungsstufe stellt hierbei eine statistische Größe dar, die sich aus den Verkaufszahlen der Vergangenheit bzw. den erwarteten Verkaufszahlen ergibt.
  • Die direkten Kosten lassen sich durch eine Funktion in Abhängigkeit von der Produktvariante/Leistungsstufe der Variante beschreiben.
  • Die Komplexitätskosten berechnen sich in Abhängigkeit von der Anzahl der Produktvarianten/Leistungsstufen, die in der Produktreihe entwickelt und gepflegt werden müssen.

Nachfrage für jede Modulvariante ermitteln

Die Nachfrage beschreibt das Verkaufsvolumen in Abhängigkeit von der Modulvariante, also wie viele Einheiten von jeder Modulvariante verkauft werden würden, wenn alle Produktvarianten verfügbar wären. Wir können dies am Beispiel eines Unternehmens illustrieren, das viele verschiedene Arten von Haushaltsgeräten (von Handmixer bis hin zu großen Gefrierschränken und Geschirrspülern) herstellt.

Jedes dieser Geräte benötigt einen Überspannungsschutz, welcher mit einer bestimmten Energieleistung spezifiziert ist. Der Überspannungsschutz ist eine bekannte stabile Technologie und das Unternehmen kann von Skaleneffekten bei der Materialbeschaffung und einer vereinfachten Handhabung bei der Montage profitieren, wenn der Schutz über verschiedene Produktvarianten und -kategorien hinweg harmonisiert wird.

Angesichts der Anzahl der Gerätekategorien und -varianten müssen die Varianten des Überspannungsschutzes eine große Anzahl von Energiestufen abdecken. Mithilfe einer Analyse kann festgestellt werden, welche Produkte die einzelnen Energiestufen verwenden würden. Das folgende Schaubild illustriert den Bedarf pro Modulvariante f(s). Die Gesamtnachfrage F für das Portfolio lässt sich dabei ermitteln als:

Formel_Variantenvolumen

variantenanzahl_nachfrage

In einem realen globalen Unternehmen könnte es Überschneidungen im ausgewählten Sortiment zwischen mehreren Lieferanten geben, sodass Hunderte von Teilenummern beschafft und für den Einkauf vorbereitet werden müssten. Für eine Komponente mit geringem Kundenwert sind das erhebliche Komplexitätskosten.

Direkte Kosten einer Modulvariante bestimmen

Auch zur Beschreibung der direkten Kosten können wir das zuvor eingeführte Beispiel nutzen. Das Unternehmen hat eine Preisliste, die jeder Modulvariante Kosten (ob intern oder durch einen Lieferanten) zuordnet. Mit zunehmender Leistungsstufe steigen auch die Kostenpro Einheit. Die folgende Grafik zeigt den Verlauf dieser Kosten c(si).

variantenkosten

Direkte Kosten in Abhängigkeit der Variantenzahl berechnen

Unter der Annahme, dass eine Überdimensionierung bestimmter Varianten möglich ist, können wir analysieren, wie hoch die direkten Kosten in Abhängigkeit von der Anzahl der Varianten ausfallen. Die Berechnung erfolgt hier außerdem unter der Annahme, dass das komplette Portfolio an Produktvarianten abgedeckt werden soll. Die beiden extremen Szenarien sind hierbei:

  • Die größte Leistungsstufe wird als Lösung für alle Produkte gewählt.
  • Jede Leistungsstufe erhält eine eigene Modulvariante.

Alle Zwischenstufen zwischen diesen beiden Szenarien lassen sich nach folgender Formel berechnen:

Formel_direkte_Kosten

Die folgende Grafik zeigt den Verlauf der Kosten über die Anzahl der gewählten Modulvarianten.

direkte_kosten_pro_variante

Komplexitätskosten berechnen in Abhängigkeit von den Leistungsstufen der verschiedenen Modulvarianten

Wie wir zu Beginn des Artikels gesehen haben, steigen Komplexitätskosten proportional zur Anzahl der Varianten - das gilt zumindest innerhalb gewisser Unternehmensgrößen. Nehmen wir für unser Beispiel an, dass jede weitere Variante (n) des Überspannungsschutzmoduls zusätzliche Kosten von 3.000 € verursachen würde. Die folgende Grafik zeigt diese lineare Kostenverteilung der Komplexitätskosten:

Formel_Komplexitaetskosten

kosten_pro_variante

Gesamtkosten berechnen als Summe von direkten Kosten und Komplexitätskosten

Indem wir die Summe der direkten Kosten und der Kosten der Komplexität für jede Anzahl von Varianten berechnen, erhalten wir einen Überblick darüber, wie sich die Gesamtkosten im Verhältnis zur jeweiligen Variantenanzahl verhalten (s. Grafik).

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Ein Blick auf die Grafik zeigt uns, dass in diesem Fall das optimale Gesamtkostenverhältnis bei einer Zahl von vier Varianten erreicht würde. Dadurch ließen sich jährliche Einsparungen von etwa 10 % realisieren, verglichen mit den jährlichen Kosten, die zur Abdeckung aller Varianten anfallen würden. Im Vergleich zu den jährlichen Kosten bei nur einer Variante liegt die Ersparnis sogar bei rund 20 %.

Zusammenfassend lässt sich die Berechnung der Gesamtkosten mit der folgenden allgemeinen Funktion beschreiben:

formel_gesamt

Die Variantenvielfalt im Baukastensystem zu optimieren bedeutet, direkte Kosten und Komplexitätskosten gegeneinander abzuwägen

Ein modulares Baukastensystem hilft Unternehmen, interne Komplexität zu optimieren und ihren Kunden gleichzeitig ein umfangreiches Produktportfolio mit verschiedenen Leistungsstufen und Varianten anzubieten. Allerdings kann auch in einem modularen System keine beliebige Anzahl an Varianten gepflegt werden. Um die Profitabilität im Variantenmanagement zu gewährleisten, muss die für das Unternehmen optimale Variantenvielfalt ermittelt werden.

Um das zu schaffen, muss ein Unternehmen sowohl die direkten Kosten als auch die Komplexitätskosten, die mit der Herstellung und Verwaltung (Pflege) der jeweiligen Anzahl an Varianten einhergehen, ermitteln und diese dann gegeneinander abwägen. Dabei hilft der mathematische Ansatz, den wir Ihnen in diesem Beitrag vorgestellt haben. Zugegebenermaßen handelt es sich hierbei um ein theoretisches Modell, bei dem einige wichtige Faktoren, wie z.B. ob Leistung und Kundennutzen durch eine Überdimensionierung eines bestimmten Moduls beeinträchtigt werden, nicht berücksichtigt werden. Aber eine mathematische Modellierung, wie wir sie Ihnen hier exemplarisch gezeigt haben, kann in jedem Fall zur Erstellung von Entscheidungsmodellen im Variantenmanagement hilfreich sein.

Die größte Herausforderung bei der Optimierung der Variantenvielfalt besteht für Unternehmen in der Regel in der Berechnung der Komplexitätskosten, da es hier viele verschiedene Komplexitätstreiber und indirekte Kosten zu beachten gilt. Um Ihnen die Berechnung zu erleichtern, haben wir ein übersichtliches Excel-Template erstellt, welches Sie hier kostenlos herunterladen können.

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