Der Softwareanteil bei Produkten im Maschinen- und Anlagenbau nimmt zu – sowohl beim Wert als auch bei den Aufwänden in Entwicklung, Produktion und Betrieb. Während vor 20 Jahren die Mechanik noch den größten Teil des Werts ausmachte, liegen der Softwareanteil und der Anteil von Elektrik/Elektronik am Wert je nach Produkt und Branche inzwischen bei 50 bis 80 Prozent (Quelle: Automationspraxis). In den nächsten Jahren wird die Bedeutung des Softwareanteils mit zunehmender Digitalisierung, Vernetzung und Industrie 4.0 noch weiter ansteigen.
Die Entwicklung von Software läuft ähnlich ab wie die traditionelle Entwicklung im Maschinenbau: Bei der Entwicklung einer neuen Produktvariante wird die entsprechende Software im Copy&Paste-Verfahren von der letzten Version abgeleitet. Dabei werden Teile wiederverwendet, andere Teile werden ersetzt und neue Teile kommen hinzu.
Das Ergebnis sind monolithische Software-Architekturen, die für jeden Maschinentyp oder sogar für jede Maschinenvariante individuell sind. Diese Software-Monolithen müssen in ihrer Variantenvielfalt genauso gepflegt werden wie die physischen Maschinen im Feld, auf denen die Software läuft. Das heißt: Proportional zur Vielfalt der Maschinen wächst auch der Anpassungs-und Änderungsbedarf an der Maschinensoftware, beispielsweise bei neuen Regulierungen und Vorschriften. Verschärfend kommt hinzu, dass selbst kleine Änderungen in monolithischen und integralen Software-Architekturen schnell einen großen Aufwand bedeuten können.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, darf sich eine modulare Produktarchitektur nicht auf den mechanischen oder mechatronischen Anteil einer Maschine beschränken. Stattdessen muss die Modularisierung das ganze System von Mechanik, Elektrik/Elektronik und Software abdecken. Wichtig ist außerdem, dass Kundenbedarfe und Unternehmensziele nachvollziehbar in der Modulstruktur verankert sind. Warum dies zentral ist und wie das gelingen kann, wollen wir Ihnen in diesem Artikel zeigen.
Der Softwareanteil am Wert von Maschinen und Anlagen ist in den letzten Jahrzehnten immer weiter angestiegen – und dieser Trend wird sich im Zuge der Digitalisierung fortsetzen. Zu dieser Entwicklung tragen verschiedene Faktoren bei.
Was früher mechanisch realisiert wurde, übernehmen heute Elektrik/Elektronik und die dazugehörige Software. Wenn früher in Maschinen zentrale Wellen mit verschiedenen Kurvenscheiben die Bewegungsabläufe gesteuert und synchronisiert haben, so setzt man heute koordinierte Servo-Achsen ein. An die Stelle der mechanischen Kurvenscheiben sind somit Software-Konstrukte getreten. Die Abbildung rechts (Quelle: Wikipedia) zeigt ein einfaches Kurvengetriebe. Diese rein mechanische Lösung zum Steuern ungleichförmiger Bewegungsabläufe ersetzen heute zunehmend elektrische Steuerungen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Maschinensoftware ist flexibel und erlaubt das Anpassen von Funktionen und Funktionsparametern, ohne dass Bauteile ausgetauscht werden müssen.
Die zunehmende Kontrolle und Koordination von Maschinenfunktionen per Software ist auch die Voraussetzung für die Digitalisierung und Vernetzung von Produktionsprozessen, kurz gesagt: für Industrie 4.0. Maschinen werden zu sogenannten Cyber-Physischen-Systemen (CPS), die auf Basis eingebetteter Systeme (embedded systems) in eine Kommunikationsinfrastruktur der Dinge und Dienste integriert werden. So sind Maschinen über das Internet miteinander und mit weltweit verfügbaren Daten und Diensten in Echtzeit vernetzt. Mit der Entwicklung hin zu einer Industrie 4.0 – inklusive neuer Funktionalitäten, Dienste und Geschäftsmodelle – wird die Bedeutung von Maschinensoftware noch weiter steigern. Das folgende Bild illustriert den Wandel in der Produktion (Quelle: Fraunhofer Institut).
Mit dem deutschen Maschinen- und Anlagenbau verbinden wir hochproduktive und zuverlässige Maschinen und Anlagen, die weltweit in der Herstellung hochwertiger Produkte eingesetzt werden. In Zeiten der Digitalisierung und in einem internationalen Wettbewerbsumfeld, in dem Preis, Zeit, Qualität und Innovationsfähigkeit zählen, werden die oben genannten Merkmale nicht mehr ausreichen, um den Geschäftserfolg zu sichern. Gerade im Kontext von digitalisierten Produktionsprozessen und auf Basis der daraus entstehenden Daten rücken produktbegleitende Dienstleistungen und Geschäftsmodelle immer stärker in den Fokus. Daten zu erfassen und zu verarbeiten – darin liegt der Schlüssel zu solchen neuen produktbegleitenden Dienstleistungen. In der Konsequenz bedeutet das aber auch, dass Maschinen und Anlagen zusätzliche softwarebasierte Funktionen bieten müssen, um diese Dienste zu ermöglichen.
In Summe lässt sich sagen, dass die Bedeutung von Maschinensoftware und der Softwareanteil am Wert von Maschinen und Anlagen – sowohl bei der Entwicklung als auch im Betrieb – weiter steigen wird. Darum ist es umso wichtiger, bei der Definition einer modularen Produktarchitektur das gesamte System – Mechanik, Elektrik/Elektronik und Software – im Blick zu haben.
Leseempfehlung: Ein größerer Softwareanteil führt auch zu kürzeren Entwicklungszyklen. Lesen Sie mehr in unserem Blogartikel "Produktlebenszyklen werden kürzer, Ihre Entwicklungszeiten auch?"
„Ein modularer Aufbau von Produkten, Prozessen, Maschinen und auch Software muss noch stärker als bisher vorangetrieben werden, da Modularisierung eine wichtige Voraussetzung auf dem Weg hin zu Industrie 4.0 ist.“
Wenn es um die Mechanik von Maschinen geht, sind sich die meisten Unternehmen der Bedeutung einer modularen Produktarchitektur bewusst. Bei der Definition und Wiederverwendung von Software-Modulen jedoch besteht im Maschinenbau heute noch Nachholbedarf. So betont auch das Fraunhofer IOSB, „dass die einer Software zugrunde liegende Architektur maßgeblich die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer der IT-Lösung bestimmt“.
Wie aber können solche Software-Module aussehen? Nehmen wir als Beispiel einen Trend in der Software-Entwicklung: Amazon oder Netflix setzen sogenannte Micro-Services ein, um ihre Online-Dienstleistungen bereitzustellen.
Lange war es üblich, Softwaresysteme monolithisch zu entwickeln, sodass alle Anforderungen und Funktionalitäten von einem einzigen großen System abgedeckt wurden.
Micro-Services brechen mit dieser Tradition. Das Gesamtsystem wird in modulare Einheiten zerlegt. Diese Einheiten können unabhängig voneinander entwickelt, produziert und eingesetzt werden. Damit wiederum ist die Voraussetzung geschaffen für Continuous Delivery – also die kontinuierliche Entwicklung und Verbesserung der einzelnen Micro-Services sowie damit des Gesamtsystems.
Die folgende Grafik vergleicht ein monolithisches System, das alle Funktionalitäten abdeckt, mit einer Micro-Service-Architektur, bei der die Funktionalitäten in mehrere Micro-Services aufgeteilt sind (Quelle: https://dev.to/).
Damit eine solche Architektur gelingt, müssen die einzelnen Micro-Services den Prinzipien der Modularität folgen:
Ein Micro-Service sollte eine fachliche Einheit darstellen, sodass Änderungen bestimmter fachlicher Anforderungen jeweils nur einen Micro-Service betreffen (Prinzip der Funktionsbindung). Zudem müssen die Micro-Services möglichst unabhängig voneinander sein (Prinzip der Entkopplung). Nur so können sie auch von unterschiedlichen Teams unabhängig voneinander entwickelt werden.
Die einheitlichen Schnittstellen zur Kommunikation zwischen den einzelnen Services werden durch eine entsprechende Infrastruktur bereitgestellt (Prinzip der Schnittstellenstandardisierung). Das Gesamtsystem ergibt sich schließlich durch die Kombination der verschiedenen Micro-Services (Prinzip der Kombinierbarkeit).
Auf diese Weise wird eine monolithische Software in ein System modularer Einheiten gegliedert. Um ein erfolgreiches konfigurierbares Produkt auf Basis einer modularen Produktarchitektur zu entwickeln, sollte die Software in Abhängigkeit vom Rest des Produktes modularisiert werden. Dies gelingt nur, indem die modulare Struktur das gesamte Produkt – also Mechanik, Elektrik/Elektronik sowie Software – umfasst und darüber hinaus Kundenbedarfe und Unternehmensziele in der modularen Produktarchitektur verankert.
Der Kern eines modularen Baukastens ist die Zerlegung des Produktes in Module. Ziel einer Baukastenstrategie ist es, anhand definierter Module den Standardisierungsgrad zu erhöhen und die Flexibilität in der Entwicklung zu verbessern, um so Entwicklungszeiten zu verkürzen und Entwicklungskosten zu senken. Um diese Vorteile der Modularisierung zu realisieren, muss die modulare Produktarchitektur richtig definiert werden. Nur so lässt sich über den gesamten Produktlebenszyklus eine weitgehende Entkopplung von individuellen Komponenten und der notwendigen Produktvielfalt erreichen.
Das grundlegende Vorgehen bei der Bildung von Modulen kann vereinfacht in den folgenden drei Schritten beschrieben werden:
Damit ein modularer Baukasten erfolgreich ist und die Potenziale realisiert werden können, müssen die Belange der verschiedenen Stakeholder in der modularen Produktarchitektur verankert werden:
Der Modular-Function-Deployment-Prozess (kurz: MFD-Prozess) bietet eine klare Struktur und Vorgehensweise, um die unterschiedlichen Belange der Stakeholder zu ermitteln, zu erfassen, zu quantifizieren und zu dokumentieren. Unterstützt wird der Prozess durch etablierte Methoden und geeignete Werkzeuge.
Die Definition der Module steht beim Aufbau einer modularen Produktarchitektur im Zentrum. Die Modularisierung kann jedoch nur dann langfristig erfolgreich sein und die erwünschten Potenziale realisieren, wenn Unternehmensziele und Kundenbedarfe nachvollziehbar in der Modulstruktur verankert sind.
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Senior Consultant
ingo.bogemann@modularmanagement.com
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