Im Zeitalter der Digitalisierung spielt die Schnelligkeit von Prozessen eine zentrale Rolle. Wenn Kunden ein neues Produkt anfordern, hätten sie es lieber gestern als heute. Dabei werden gleichzeitig die Anforderungen immer komplexer. Auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnittene Lösungen werden vorausgesetzt, während die Produktlebenszyklen gleichzeitig immer kürzer werden.
Für viele Unternehmen bedeutet die zunehmende Schnelllebigkeit und Individualität von Produkten vor allem eins: ein rasch wachsendes und mit den Jahren immer komplexer werdendes Produktportfolio, für dessen Pflege es immer mehr Zeit bedarf. Zeit, die den Entwicklungsabteilungen für innovative Projekte verloren geht, die es eigentlich bräuchte, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.
Eine effiziente Lösung, um Komplexität im Produktportfolio zu verringern, Kosten zu sparen und Entwicklungs- und Produktionsprozesse effizienter zu gestalten, sind modulare Baukastensysteme. Um eine gute modulare Produktarchitektur zu entwickeln, bedarf es jedoch zuerst einer geeigneten Methode der Modularisierung. Module rein nach ihrer Funktion und geometrischen Position im Produkt zu definieren, reicht jedoch nicht aus. Um das volle Potenzial der Modularisierung auszuschöpfen, bedarf es eines breiter angelegten Konzepts. In unserem heutigen Blog-Artikel wollen wir uns deswegen anhand eines konkreten Produktbeispiels ansehen, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt, Produkte in Form von Modulen zu strukturieren.
Im Kern der Modularisierung steht die Definition der Module. Hierbei müssen drei wesentliche Moduleigenschaften berücksichtigt werden: Funktion, Schnittstelle und Strategie. Die Funktion beschreibt dabei den Nutzen der entsprechenden Komponente innerhalb eines Produkts (entweder als direkter Nutzen für den Benutzer oder als unterstützende Komponente anderer Funktionen). Sie ist gewissermaßen der Grund, weshalb eine bestimmte Komponente in einem Produkt verbaut wird. Typischerweise handelt es sich bei der Funktion um Manipulation oder Austausch von Energie, Material oder Informationen - etwa eine Übertragung von Fluid per Rohr oder Energie per Kabel oder eine Umwandlung von Drehmoment und Drehzahl in einem Getriebe. Damit seine Existenz in einem Produkt gerechtfertigt ist, muss ein Modul zumindest eine Funktion erfüllen.
Um sicherzustellen, dass die Module ihre unterschiedlichen Funktionen erfüllen können, müssen sie miteinander kombiniert werden. Das geschieht durch die Definition passender Schnittstellen. Sind die Schnittstellen zwischen zwei Modulen definiert und stabil, können die Module, die über die Schnittstelle verbunden werden, voneinander unabhängig verändert werden. Die Schnittstelle selbst bleibt dabei unangetastet.
Mit Schnittstellen und Funktion haben wir bereits zwei wichtige Eigenschaften von Modulen identifiziert, die eng mit der Geometrie des Moduls verbunden sind. Würde man es bei diesen zwei Eigenschaften belassen, wäre es naheliegend zu argumentieren, dass es zur Modularisierung von Produkten ausreichend ist, die Gruppierung allein anhand der Geometrie einschließlich Funktion und Schnittstellen vorzunehmen. Um jedoch das tatsächliche Potenzial einer modularen Produktarchitektur voll auszuschöpfen, gilt es bei der Definition der Module einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen: den strategischen Nutzen. So muss jedem Modul eine konkrete Strategie zugeordnet werden, die dazu beiträgt, Entwicklungsprozesse zu beschleunigen, Komplexität zu minimieren und gleichzeitig Flexibilität zu erhöhen. Die drei strategischen Dimensionen von Modulen sind:
Indem jedem Modul eine konkrete Strategie zugewiesen wird, kann sichergestellt werden, dass sowohl das Unternehmen als auch die Kunden von der Modularisierung profitieren. Gleichzeitig kann eine detaillierte Produktanalyse zeigen, in welcher dieser drei strategischen Dimensionen noch Verbesserungsbedarf beim Produkt besteht und an welchen Modulen nachjustiert werden muss. Ist ein Produkt beispielsweise nicht hinreichend darauf ausgelegt, Kundenwünsche individuell zu bedienen, ist eine Überarbeitung der Module notwendig, die der strategischen Dimension Kundennähe zugeordnet sind.
So viel zur Theorie. Aber wie sieht Modularisierung in der Praxis aus? Lassen Sie uns dazu eine konkrete Produktfamilie betrachten. Ein gutes Beispiel für ein Produkt, das sehr von Modularität profitieren kann, ist eine Baumaschine, umgangssprachlich: ein Bagger. Einfachheitshalber konzentrieren wir uns in der folgenden beispielhaften Modularisierung auf die beweglichen Komponenten der Maschine: den Ausleger, den Arm, die Schaufel und die Radaufhängung, wobei die ersten drei zentral für die Erfüllung des zentralen Produktnutzens - das Ausbaggern - sind.
Für unser Beispiel nehmen wir außerdem Folgendes an:
Ein Produkt nach geometrischen Kriterien in Module zu strukturieren bedeutet, die einzelnen Module nach ihrer Position und Geometrie zu definieren. Im Falle eines Baggers könnte das wie in der folgenden schematischen Darstellung aussehen:
Jedes so definierte Modul erfüllt eine klare Funktion und fügt sich in das geometrische Gesamtkonzept der Maschine, das beim Zusammenbau des Produkts entsteht. Was hierbei jedoch nicht berücksichtigt wird, sind die verschiedenen Komponenten, die die beweglichen Teile des Baggers mit der zentralen Einheit im Inneren der Maschine verbinden.
Gehen wir einen Schritt zurück und schauen uns noch einmal die einzelnen Teile des Baggers an. Dieses Mal mit Fokus darauf, wie die einzelnen Komponenten zusammenhängen und -arbeiten. Bei genauerer Betrachtung des Zusammenspiels der einzelnen Teile ergeben sich die folgenden Zusammenhänge:
Auf Basis der Anforderungen des Produktmanagements (konkret: unterschiedliche Größen des Baggerarms), der varianten Kundenwünsche (z. B. erhöhte Funktionalität, anderer Antrieb etc.) und der Funktionen der einzelnen Komponenten lassen sich die folgenden Module identifizieren:
Funktional betrachtet ist es außerdem fast unmöglich, Arm und Ausleger voneinander getrennt zu betrachten, da die Einheit als Ganzes berechnet, konstruiert und getestet werden muss. Auch Hydraulikzylinder und -schläuche sollten als jeweils getrennte Module gesehen werden, um die unterschiedlichen Baggerarmgrößen mit einem überschaubaren Satz an Zylindern und Schläuchen abzudecken.
Leseempfehlung: Was wollen Ihre Kunden wirklich? Lesen Sie hier, wie Sie das richtige Ziel-Portfolio als Basis des Modulbaukastens definieren.
Wird bei der Definition der Module nicht nur die Geometrie, sondern auch deren Funktion und zusätzlich noch der strategische Einfluss berücksichtigt, entsteht dadurch ein modulares Baukastensystem, das mit der Unternehmensstrategie für die jeweilige Produktreihe im Einklang steht. In einem nächsten Schritt werden daher die zuvor funktional definierten Module um strategische Dimensionen (operative Exzellenz, Kundennähe und Produktführerschaft) ergänzt.
Im Zuge der Einteilung der Module nach rein geometrischen Kriterien haben wir insgesamt fünf Module identifiziert: Arm, Ausleger, Schaufel, Radaufhängung und Hydraulikeinheit. Die funktions- und strategiegetriebene Modularisierung hat hingegen folgende Module ergeben: Hydraulikzylinder, Hydraulikschlauch, Arm & Ausleger, Radaufhängung, Schaufel und Hydraulikeinheit. Die folgenden Tabellen zeigen die Unterschiede zwischen den beiden Modulstrukturen.
Ein Vergleich der Daten aus den beiden Tabellen offenbart die folgenden Vorteile einer Vorgehensweise, bei der Module nach funktionalen und produktstrategischen Treibern zusammengefasst werden:
Zudem kann das vom Produktmanagement aufgestellte Ziel, die Produktpalette um verschiedene Baggerarmgrößen zu erweitern, einfacher realisiert werden. Im Falle der funktions- und strategiegetriebenen Vorgehensweise wäre dazu lediglich eine Vergrößerung des intern entwickelten Arm-Ausleger-Moduls notwendig - die Hydraulikkomponenten müssten nicht modifiziert werden.
Leseempfehlung: Erfahren Sie hier, wie Sie die monetären Potenziale eines modularen Baukastensystems für Ihre Geschäfts- und Produktumfeld quantifizieren.
Module sind weit mehr als nur geometrische Bausteine in der Produktarchitektur. Wie sich am Beispiel eines Baggers verdeutlichen lässt, kann die Modularisierung eines Produkts auf mehrere Arten erfolgen. Zwar ist es möglich, Produkte rein auf der Basis ihrer Geometrie in Module zu definieren, wenn das modulare Baukastensystem gleichzeitig auch Ziele der Unternehmensstrategie unterstützen soll, ist jedoch eine mehrdimensionale Herangehensweise erforderlich.
Eine effiziente modulare Produktarchitektur sollte Komplexität optimieren, große Varianz und Flexibilität zugunsten des Kunden gewährleisten und eine effiziente Produktentwicklung sowie Fertigung ermöglichen. Insbesondere bei komplexen Produkten mit einer großen Variantenvielfalt im Produktportfolio ist es entscheidend, einen methodischen und strukturierten Ansatz wie Modular Function Deployment® (MFD) zu verwenden um sicherzustellen, dass alle wichtigen Aspekte bei der Analyse und Umsetzung berücksichtigt werden. Wie genau Sie dazu vorgehen, erklären wir Ihnen in unserer detaillierten Schritt-für-Schritt Anleitung „In 5 Schritten zur modularen Produktarchitektur“.
Oscar Strömberg
Consultant
oscar.stromberg@modularmanagement.com