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Wie Ericsson seine Produktentwicklung mit Modularisierung revolutioniert hat

Geschrieben von Thomas Enocsson | 20.04.2023 06:15:00

Modularisierung bringt Unternehmen viele Vorteile, darunter verkürzte Entwicklungszeiten und eine Optimierung der internen Komplexität. Das Hauptziel von Modularisierung besteht darin, Produktvielfalt effizient zu handhaben und dabei gleichzeitig Skaleneffekte zu erreichen. 

Bei Modular Management unterstützen wir Unternehmen bereits seit 1996, modulare Produktportfolios umzusetzen und deren Vorteile für sich zu nutzen. Unser Beraterteam bringt dabei nicht nur Fachwissen, sondern in vielen Fällen auch umfangreiche Erfahrungen aus Modularisierungsprojekten mit, die sie während ihrer beruflichen Laufbahn in vormaligen Positionen erlangt haben. Dazu gehört auch Thomas Enocsson, Executive Vice President und Geschäftsführer Modular Management Asia Pacific AB. 

Vor seinem Einstieg bei Modular Management war Thomas bei dem schwedischen Telekommunikationsriesen Ericsson tätig. Das Unternehmen ist in den Bereichen technologische Forschung, Entwicklung, Netzsysteme und Softwareentwicklung aktiv und bietet Telekommunikationsdienstleistern End-to-End-Lösungen für die Hauptmobilfunkstandards an. Als einer der Hauptverantwortlichen der Modularisierung bei Ericsson hat Thomas hautnah erlebt, welche Verbesserungspotenziale Unternehmen in der Praxis erreichen können, wenn sie sich konsequent modular aufstellen.

Die Vorteile der Modularisierung sind bekannt und immer mehr Unternehmen stellen ihre Geschäftsprozesse entsprechend um. Ohne Praxisbeispiele lassen sich diese Vorteile oftmals nur schwer konkretisieren und für „nicht modulare“ Unternehmen greifbar machen. In diesem Blogbeitrag wollen wir Ihnen deshalb anhand des Beispiels Ericsson im Detail aufzeigen, welche Potenziale Modularisierung für Unternehmen bereithält und wie diese mithilfe der von Modular Management entwickelten Methode des Modular Function Deployment® in der Praxis umgesetzt werden können.

Modularisierung in 5 Schritten: Modular Function Deployment®

Modular Function Deployment®, kurz MFD®, ist eine Modularisierungsmethode, die es Unternehmen ermöglicht, in einem fünfschrittigen Prozess eine modulare Produktarchitektur aufzubauen. Die Methode liefert einen Ansatz, bei dem jedem Modul eine bestimmte Funktion, eine standardisierte Schnittstelle sowie eine strategische Dimension zugeordnet wird. 

 

Im ersten Schritt geht es darum, die bestehenden Kundenbedürfnisse zu analysieren und anhand am Bedarf ausgerichteter Merkmale in Marktsegmente zu unterteilen. Die daraus abgeleiteten Kundenwerte werden dann in konkrete Produkteigenschaften und technische Lösungen übersetzt. Das geschieht mithilfe der sogenannten Design Property Matrix (DPM®). Sie liefert die Basis dafür, die einzelnen Produkte des modularen Baukastensystems sinnvoll in Module gliedern zu können. 

Die Definition der Module erfolgt nach funktionalen und strategischen Kriterien, sodass technische Lösungen, die ähnlichen strategischen Zielen dienen, zu einem Modul zusammengefasst werden. Parallel dazu werden die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Modulen definiert und standardisiert. Gleichzeitig müssen Regeln festgelegt werden, wie die Modulvarianten jeweils miteinander kombiniert werden können, um verschiedene Produktvarianten zu realisieren. Im letzten Schritt geht es darum, die erstellte modulare Produktarchitektur zu verifizieren, um sicherzustellen, dass die gesetzten Unternehmensziele auch erreicht werden.  

Leseempfehlung: Eine detaillierte Erklärung der fünf Schritte von MFD® und wie Sie diese in der Praxis umsetzen, finden Sie in unserem Blog-Artikel “Modularisierung in 5 Schritten mit Modular Function Deployment®”

Transformationsprojekt Modularisierung: Zielsetzung & Projektumfang im Fall Ericsson

Die Zielsetzungen, die ein Unternehmen mit Modularisierung verfolgt, können sehr unterschiedlich sein und hängen von den Problemen und Herausforderungen ab, mit denen das Unternehmen konfrontiert ist. Diese Erfahrung hat auch Thomas Enocsson gemacht. Als Verantwortlicher für die Entwicklung eines komplexen Produktportfolios stand er während seiner Tätigkeit für Ericsson vor mehreren zentralen Herausforderungen: 

 

  • Wie kann ich mich selbst und andere dazu motivieren, weiterhin in unser Portfolio zu investieren? 
  • Welche Produkte werden wir auslaufen lassen, und welche Produkte können wir weiter ausbauen? 
  • Wie können wir unser Entwicklungstempo beibehalten, wenn ein Personalabbau bevorsteht? 
  • Warum fällt es meinen Teammitgliedern schwer, einen Konsens bei wesentlichen Entscheidungen zu finden? 

Vor Beginn des Modularisierungsprojektes wurden produktbezogene Entscheidungen bei Ericsson oftmals basierend auf Annahmen und kalkulierten Schätzungen von einzelnen Personen getroffen - anstatt auf passenden Daten. Die Schnelligkeit der technologischen Entwicklungen und die Markttätigkeit der Konkurrenz führten außerdem zu einem stetig wachsenden Innovationsdruck, um in einem sich schnell verändernden Geschäftsfeld wettbewerbsfähig zu bleiben. Um das zu erreichen und das Unternehmen wieder als Marktführer zu positionieren, brauchte es eine groß angelegte Umstrukturierung der internen Prozesse, auch in Bezug auf die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. 

2018 hat Ericsson mit Modular Management ein Transformationsprogramm gestartet, um die interne Organisation und Arbeitsweise zu verbessern. Eine der obersten Prioritäten bei diesem Programm war es, Entscheidungen hinsichtlich Produktportfolio und Plattform-Governance faktenbasiert zu treffen. Auch sollte das vorhandene Wissen zu Kundenbedürfnissen besser dokumentiert und datenbasiert strukturiert werden. 

Im Zuge des Transformationsprojektes im Bereich Modularisierung wurde sowohl ein modulares System für das Produktportfolio des Unternehmens erarbeitet als auch Verbesserungen in den Bereichen Governance und Digitalisierung erreicht. Zentrale Prozessschritte waren hier die bedarfsorientierte Marktsegmentierung, die Definition passender Module und eine Analyse der bestehenden Lieferketten. 

Die ursprüngliche Erwartung, die das Unternehmen hinsichtlich der Potenziale der Modularisierung hatte, war zunächst recht generisch. Für Thomas Enocsson war Modularisierung in erster Linie ein Werkzeug, um die Anzahl der Produktplattformen zu reduzieren und gleichzeitig die Markteinführungszeit neuer Produkte zu verkürzen. Zu seiner Überraschung stellten sich im Laufe des Transformationsprojektes jedoch noch zusätzliche Vorteile und Verbesserungen ein, mit denen das Unternehmen vorab nicht gerechnet hatte. Diese werden wir Ihnen in den folgenden Abschnitten im Detail vorstellen. 

 

 Vorteil #1: Bessere interne Kommunikation und Konsens hinsichtlich Kundenbedürfnissen

Vor dem Aufbau eines modularen Systems zur Verwaltung des eigenen Produktportfolios waren die Annahmen über die existierenden Kundenbedürfnisse und darüber, durch welche technologischen Lösungen diese abgedeckt werden könnten, stark an die persönlichen Erfahrungswerte einzelner Stakeholder geknüpft und fielen von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich aus (z. B. in F&E-Abteilung und Produktmanagement). Für Ericsson war klar, dass ein strukturierter Ansatz zum Erfassen und Konsolidieren von Wissen und Erfahrung diese Annahmen schnell in Frage stellen würde. Das Ausmaß der in diesem Bereich erreichten Verbesserung war für das Unternehmen eine positive Überraschung. 

Durch die Partnerschaft mit Modular Management schaffte es das Unternehmen, die interne Kommunikation so zu verbessern, dass ein gemeinsamer Konsens hinsichtlich bestehender Kundenbedürfnisse gefunden werden konnte, der später die Basis für Zielsetzungen und Entwicklungspläne darstellte. Der Einsatz von Modular Function Deployment® ermöglichte es, die Begriffe Kundenbedürfnis, Produkteigenschaft und technische Spezifikation klar voneinander zu trennen und dann die Entscheidungen in diesen verschiedenen Bereichen transparent und eindeutig miteinander zu verknüpfen. 

Die Strukturierung der Kundenbedürfnisse nach spezifischen Marktsegmenten legte den Grundstein für eine eingehende Analyse, wie das existierende Produktportfolio verbessert und vervollständigt werden konnte, um alle Kundenbedürfnisse abzudecken. Gleichzeitig bildete ein verbessertes Verständnis der Kundengruppen und ihrer jeweiligen Anforderungen an die Produkte die Grundlage, um ein erfolgreiches modulares System zu entwickeln, das interne Komplexität reduziert und unterschiedliche Kundenbedürfnisse sowie technologische Entwicklungen berücksichtigt. 

Vorteil #2: Faktenbasierte Produktentscheidungen dank strukturierter Daten über die Produktarchitektur

Die strukturierte abteilungsübergreifende Zusammenarbeit führte zu einer Verbesserung des gesamten Produktentwicklungsprozesses, von F&E bis hin zu Beschaffung und Einkauf. Die dabei anfallende abteilungsübergreifende Verknüpfung von Daten lieferte ein modulares System, in dem die Produkteigenschaften auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse abgestimmt werden konnten. Das Hinzufügen von strategischen Marktplänen und Produktionsvolumen auf Modulebene lieferte zudem wertvolle Projektionen für Beschaffung und Einkauf und ermöglichte neue Einblicke und Möglichkeiten für die strategische Planung einschließlich der Entscheidungen über das Ein- und Ausphasen von Produkten.  

Die Verbesserung gegenüber der früheren Vorgehensweise war deutlich erkennbar: Wurden Entscheidungen hinsichtlich Produktplanung und Investitionen in der Vergangenheit häufig kurzfristig und ohne ausreichend Zeit für sorgfältige Analysen getroffen, bestand für Ericsson nun die Möglichkeit, bessere auf sorgfältig dokumentierten Daten basierende Produktentscheidungen zu treffen. 

Durch die im Rahmen des Modularisierungsprojektes geleistete Arbeit konnte das Unternehmen die Entwicklung seines Produktportfolios über mehrere Jahre hinweg im Voraus simulieren, einschließlich über hundert verschiedene Produkte. Parallel führte Ericsson Kostensimulationen durch, wie sich unterschiedliche Szenarien in der Entwicklung der Produktarchitektur auf das gesamte Unternehmen auswirken würden - auch unter Beachtung des jeweiligen Verhältnisses von Komplexitätskosten und direkter Materialkosten und Unterschieden bei Produktleistungsstufen. Die Simulation ermöglichte ein tieferes abteilungsübergreifendes Verständnis und führte dazu, dass Beschaffung und Vertrieb viel früher in den Plattformentwicklungsprozess miteinbezogen werden konnten. 

Das erarbeitete Datenmodell verband das zukünftige Produkt über klar definierte Konfigurationsregeln mit allen bestehenden und zukünftigen Modulvarianten. Diese Struktur lieferte Ericsson eine unmittelbare Volumenprognose der jeweiligen Modulvariante, wobei jeweils die Balance zwischen Variantenvielfalt und Überdimensionierung gefunden werden musste, um alle Kundenbedürfnisse optimiert abzudecken. 

Leseempfehlung: Erfahren Sie in unserem Blogartikel “Nutzen eines einheitlichen Informationsmodells für Produktarchitekturen”, warum es eines Informationsmodells bedarfs, um ein modulares System langfristig erfolgreich zu betreiben. 

Vorteil #3: Passende Governance und Organisationsstrukturen für Modularisierung

Um modulare Systeme effektiv zu steuern und kontinuierlich zu verbessern, braucht es eine klare Verteilung der Zuständigkeiten sowie ein passendes Governance-Modell mit den zugehörigen Rollen, Organisationsstrukturen und Abläufen rund um die Verwaltung und Pflege der modularen Produktarchitektur. Im Zuge des Modular Function Deployment® bei Ericsson wurden Modulverantwortliche ernannt, deren Aufgaben weit über die reine Modulkonstruktion hinausgehen und auch die Abstimmung der Technologieplanung mit künftigen Roadmaps und die Optimierung des Sortiments an Modulvarianten umfassen. Durch die Erstellung von Modulvariantenplänen konnte die Rentabilität und Belastbarkeit des modularen Systems erheblich verbessert werden. 

Gleichzeitig schaffte es Ericsson, dank MFD® die Daten der verschiedenen Modulverantwortlichen zu einem strukturierten Datensatz zusammenzufassen und diesen mit passenden Kennzahlen (KPIs) und Marktanforderungen zu verknüpfen. Dank der verbesserten Kommunikation und der gemeinsamen Datengrundlage konnte ein standardisiertes Modulsystem für das Produktportfolio definiert werden, in dem Entscheidungen zentralisiert getroffen werden können. 

Modularisierung ist mehr als nur ein Werkzeug zum Aufbau modularer Produktarchitekturen

Das eigene Produktportfolio zu modularisieren ist für Unternehmen mit vielen Vorteilen verbunden und ermöglicht es, ein breit gefächertes Sortiment an Produkten und Lösungen effizient zu handhaben und trotzdem Skaleneffekte zu erreichen und die interne Komplexität auf einem überschaubaren Niveau zu halten. Wie wir am Beispiel Ericsson gesehen haben, gehen die Verbesserungen, die durch Modularisierung im Unternehmen erreicht werden können, jedoch weit darüber hinaus.  

Die Möglichkeit, Zukunftsszenarien auf der Grundlage von Daten aus einer Vielzahl verschiedener Quellen zu simulieren, ermöglichte es Ericsson, wichtige in die Zukunft reichende Produktentscheidungen zu treffen, die zu einer höheren Rentabilität des Portfolios führten. Die Möglichkeit, bessere und vor allem datengestützte Entscheidungen zu treffen, beschränkte sich allerdings nicht nur auf das Produktportfolio, sondern auch auf die interne Kommunikation und Absprachen hinsichtlich wichtiger Schlüsselfaktoren wie Marktsegmentierung und Kundenbedürfnisse. Modularisierung hat für Ericsson in vielen Bereichen eine besser strukturierte, datengestützte Vorgehensweise ermöglicht, einschließlich einer verbesserten abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit und Organisation. 

Wollen auch Sie die Vorteile der Modularisierung für Ihr Unternehmen nutzen? Dann empfehlen wir Ihnen unsere detaillierte Step-by-Step-Anleitung für Modular Function Deployment®, die Sie sich hier kostenlos herunterladen können. 

              

 

AUTHOR

Thomas Enocsson

EVP and President Modular Management Asia Pacific AB

thomas.enocsson@modularmanagement.com